Schlank bauern (nicht zu verwechseln mit unserer Jahresserie «Schlau bauen»), das wäre wohl die deutsche Übersetzung von «Lean Farming». Die Methode des Lean Management kommt aus der (Auto-)Industrie: möglichst schlank und effizient möglichst viel produzieren.
Thyas Künzle arbeitet am Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen als Berater bei der Fachstelle Rindvieh. Wie kommt er dazu, sich mit Lean Farming zu befassen? «Setzen wir Ressourcen effizienter ein, kann das zum Beispiel zu gesünderen Tieren führen», sagt er.
Künzle führt aus: Hat ein Landwirt beispielsweise das Kolostrummanagement (Zeitpunkt, Menge, Qualität, usw.) im Griff, setzt er die Ressource effizient ein und es bringt dem «Kunden», dem Kalb, einen Mehrwert. Der Landwirt profitiert wiederum von einer besseren Gesundheit des Kalbes. Er hat weniger hohe Tierarztkosten, keinen Zeitaufwand für Behandlung und mehr Freude an gesunden Tieren.
Mit Lean Farming die Arbeitsabläufe hinterfragen
Thyas Künzle erwähnt die hohe Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft und den damit verbundenen Druck. «Im besten Fall lässt sich dieser Druck mit Lean Farming mindern.» Doch ein Allheilmittel ist die Methode nicht: «Wer automatisch zwei Stunden weniger Arbeit pro Tag erwartet und einen höheren Verdienst, liegt falsch.»
Wie lässt sich denn mit Lean Farming die Effizienz steigern? In einem ersten Schritt damit, mit offenen Augen über den Betrieb zu gehen und sich der täglichen Arbeitsschritte bewusst zu werden.
In einem der Kurse des LZSG Flawil haben Künzle und die KursteilnehmerInnen beobachtet, wie einer der Teilnehmer Futter gemischt hat. Angeleitet wurden sie dabei von der Dänin Susanne Pejstrup, welche die Lean-Farming-Methode entwickelt hat.
Während der Landwirt ganz normal sein Futter mischte, zeichneten seine Kollegen minutiös die Arbeitswege und die dafür nötige Zeit auf. Das ergab eine Diskussion darüber, wieso welcher Schritt wann erfolgt. Mit einer zweiten Kursgruppe wurde die Beobachtung am nächsten Tag wiederholt.
Der Landwirt hatte sich über Nacht Gedanken gemacht und setzte bereits am nächsten Tag einige Verbesserungsvorschläge der Kursteilnehmer um. Er war rund zehn Minuten schneller fertig, mit gleicher Qualität. «Zehn Minuten mag nach wenig klingen», sagt Künzle. Doch aufs Jahr gerechnet komme so gut eine (nicht-landwirtschaftliche) Arbeitswoche zusammen.
Verschwendungen aller Art erkennen und vermeiden
Lean Farming soll also der eigenen Betriebsblindheit vorbeugen. «Gibt es einen Grund, wieso ich eine Arbeit auf diese Weise erfülle? Oder mache ich es einfach, weil ich es schon immer so gemacht habe?» Diese Fragen gelte es sich zu stellen, so Künzle.
Dieses Hinterfragen darf durchaus auch von den Mitarbeitenden kommen: Künzle hält Mitarbeiterführung für einen ganz wichtigen Punkt. Diejenigen, welche die Arbeit ausführen, sollen aktiv Verbesserungen für den Arbeitsalltag vorschlagen.
Zudem gelte es, auch Personal gezielt einzusetzen, um Verschwendung zu vermeiden. Das ist einer der acht Typen von Verschwendung, die bei Lean Farming vorkommen. Dazu gehört auch, Defektes zu reparieren oder zu entsorgen, Überproduktion und unnötige Arbeitsschritte oder zum Beispiel unnötige Ausgaben zu vermeiden. Und – ganz einfach – nicht häufiger übers Feld zu fahren, als es wirklich nötig ist.
Den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass die Arbeit Freude macht (und effizient ist), gehört ebenfalls dazu: In einer ordentlichen Werkstatt geht keine Zeit damit verloren, den 17er-Schlüssel zu suchen oder leicht genervt zuerst die Werkbank freizuräumen, bevor eine Reparatur beginnen kann.
Ziel ist auch, mehr Freude an der Arbeit zu haben
Künzle erzählt, dass er nach den Weiterbildungstagen bei Susanne Pejstrup in Dänemark als Erstes sein Büro aufgeräumt habe. «Das Arbeiten macht so einfach mehr Freude.» Ziel bei Lean Farming sei nicht, grösser zu werden, sondern zuerst besser zu werden.
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«Lean Farming hilft, Verschwendungen zu vermeiden.»
Thyas Künzle, LZSG Flawil
Das betrifft auch die Arbeit im Stall. Eine Erkenntnis ist, dass der Milchabnehmer ein externer Kunde des Landwirts ist. Die Kuh ist eine interne Kundin, die einiges will, bevor sie ihrer Rolle als Lieferantin gerecht werden kann: gutes Futter, Wasser, einen tierfreundlichen Liegeplatz.
Sind die Bedürfnisse der Kundin befriedigt, bringt diese eine bessere Leistung – was sich in der Zufriedenheit der Bauernfamilie und im Portemonnaie bemerkbar macht.
Im Herbst startet ein Arbeitskreis in der Ostschweiz
Das LZSG Flawil bietet Kurse und ab Herbst 2024 auch einen Arbeitskreis zum Thema Lean Farming an. Wer mitmachen will, braucht den Willen, seinen Alltag ehrlich zu hinterfragen, und die Motivation, etwas anzupacken. «Gewinnen lässt sich in erster Linie nicht mehr Geld», sagt Künzle, «sondern zum Beispiel auch mehr Zeit mit der Familie, also Lebensqualität.»
Ein einfacher Start ins persönliche Lean Farming kann tatsächlich sein, einfach mal die Werkstatt aufzuräumen. Und dabei vermutlich nicht nur einen, sondern mindestens zwei 17er-Schlüssel zu finden …
Die fünf Grundlagen von Lean Farming
Thyas Künzle vom Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen bezeichnet diese fünf Punkte als Grundlage von Lean Farming:
1. Erkennen, was Wert bringt (Wer ist mein Kunde? Welche Bedürfnisse hat er?)
2. Die acht Typen der Verschwendung erkennen (kaputte Gerätschaften/kranke Tiere, zu viel produzierte Ressourcen, Wartezeiten, nicht erkanntes Wissen der Mitarbeiter, unnötige Fahrten, unnötige Hilfsmittel, unangenehme Bewegungsabläufe, überflüssige Arbeiten)
3. Workflow (Wie wird die Arbeit effizient geplant?)
4. Produzieren, was nachgefragt wird (Was brauche ich, was produziere ich?)
5. Kontinuierliche Verbesserung (In kleinen Schritten effizienter/besser werden)
Wer mehr über Lean Farming erfahren möchte oder sich dafür interessiert, an einem Kurs teilzunehmen, oder sich in einem Arbeitskreis engagieren möchte, darf sich an das Sekretariat des LZSG Flawil (lzsg.flawil(at)sg.ch, Tel. 058 228 24 70) wenden.