Theorie und Praxis verbinden: Das passiert, wenn eine Lernende dem Berufsbildner im Stall in eigenen Worten erklärt, wie sie eine Futterration berechnet und zusammengestellt hat. Dazu rät Anne Stettbacher. Sie leitet die Beratungsstelle für Lernende am Inforama des Kantons Bern. Zu ihr kommen zum einen Lernende, die Mühe haben, den Stoff der Lehre zu lernen.

Zu ihr kommen aber auch Lernende, die psychische Probleme haben oder in persönlichen Schwierigkeiten stecken. Auch Berufsbildner, Eltern oder soziale Institutionen melden sich bei ihr, um Auswege aus schwierigen Situationen zu finden.

Eine Lernschwäche hat nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun

Geht es um eine Lernschwäche, erarbeitet Stettbacher mit den Lernenden Strategien. Diese sind sehr individuell. «Die Lernenden sind ja ExpertInnen für sich selbst.» Eine Lernschwäche ist eine spezifische Schwierigkeit beim Erwerb oder der Verarbeitung von Informationen. «Eine Lernschwäche hat nichts mit mangelnder Intelligenz oder Faulheit zu tun», betont Stettbacher. Es handle sich um ein Verarbeitungsproblem im Hirn. Deshalb gibt es auch Unterstützungsmöglichkeiten: Wer nachgewiesen eine Lernschwäche hat, kann einen Nachteilsausgleich bei der Schulleitung beantragen.

Wird dieser bewilligt, bekommt die Lernende zum Beispiel bei Prüfungen mehr Zeit oder darf ein Hilfsmittel verwenden. Anne Stettbacher vergleicht eine Lernschwäche mit einer Sehschwäche: «Ich kann lesen, sehe aber den Text nicht deutlich.» Deshalb brauche es bei der Sehschwäche eine Brille, bei einer Lernschwäche im Bereich Lesen zum Beispiel einen Stift, der den Text vorliest.

Ein Lernender mit Lernschwäche müsse nicht weniger Leistung bringen, aber andere Wege finden, um diese zu zeigen: «Wer die Lernziele nicht erreicht, ist momentan vielleicht noch im falschen Beruf oder braucht mehr Zeit, um auf die Lernziele hin zu lernen oder sich vorzubereiten», sagt sie.

Aktives Nachfragen gibt Aufschluss über Probleme

Sie ist überzeugt, dass die Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sehr stark unterstützen können. Häufig würde sie von den Lernenden erwarten, dass diese mit Fragen kommen. Dieser Wunsch nach Selbstständigkeit sei verständlich. «Aber die Mehrheit der Lernenden schafft das nicht», sagt sie. Deshalb rät sie, dass BerufsbildnerInnen aktiv nachfragen, um mitzubekommen, wie es in der Schule läuft. «Wie ist es dir im Test ergangen?» – «Was ging gut?» – «Wo braucht es noch Klärung oder Unterstützung?» – «Wie gehst du beim Lernen vor?». Das seien Fragen, die Aufschluss darüber geben, ob es Probleme gebe.

Auch regelmässig mit der Lernenden hinzusitzen und zu besprechen, was es brauche und wie der Lernstoff einzuteilen sei, könne sinnvoll sein. Wichtig sei, dass die Lernenden auch Ruhezeiten hätten.

Bei Bedarf Unterstützung durch Lerngruppen und Stützkurse

Als Vorbereitung auf die Hofprüfungen gebe es Lerngruppen, die sich im Winter reihum treffen, um den Stoff gemeinsam zu lernen, weiss Anne Stettbacher. Von der Schule aus gebe es Angebote, bei denen sich Lernende des dritten Lehrjahrs online zuschalten können und eine Lehrperson dabei ist. «Das braucht vielleicht etwas Überwindung, ist aber eine gute Sache.»

Ebenfalls im Angebot sind Stützkurse während des ersten und zweiten Lehrjahrs. Dabei erhalten die Lernenden im Winter acht- bis zehnmal zusätzlich drei Stunden Unterricht.

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«Lernende mit Lernschwächen müssen andere Wege finden, um die Leistung zeigen zu können.»

Anne Stettbacher, Inforama

Wer eine Lernschwäche hat und diese kennt, tut gut daran, vor dem Ausbildungsstart offen mit dem Berufsbildner darüber zu reden: «Dann wissen beide Seiten, worauf sie sich einlassen», sagt Stettbacher. Diese Ehrlichkeit ermögliche den Berufsbildnern zum einen, Informationen zum Beispiel portionenweise zu geben oder sich in die Problematik der Lernende einzulesen, etwa bei einer Aufmerksamkeitsstörung.

Ein Tabu sei eine Lernschwäche oder eine Aufmerksamkeitsstörung kaum mehr, berichtet Stettbacher. Die Lernenden seien es seit der Grundschule gewöhnt, dass es Nachteilsausgleiche oder Klassenkameradinnen mit besonderen Bedürfnissen gebe. Wichtig sei, dass sich die Lernenden trauen würden, in der Klasse Fragen zu stellen: «Eine Frage ist ein Geschenk an die Klasse», sage sie jeweils.

Im Lehrbetrieb helfe offene Kommunikation. «Wer hört ‹Das hab ich dir doch schon zwei Mal gesagt›, wird sich nicht mehr trauen, Fragen zu stellen», sagt Stettbacher. Sei ein Berufsbildner wegen des Wetters oder der hohen Arbeitsbelastung schlecht gelaunt, solle er dies sagen, damit es die Lernenden nicht persönlich nehmen. Oft hätten die Lernende sonst das Gefühl, sie würden nicht genügen.

Ein offenes Ohr für alle Anliegen der Lernenden

Gefühle und belastende Situationen nehmen bei der Arbeit von Anne Stettbacher eine grosse Rolle ein. Die Lernenden kennen sie – nicht nur, weil sie sich in jeder ersten Klasse zu Schuljahresbeginn vorstellt. Sie hat ein Büro auf dem Schulareal auf der Rütti, die Lernenden raten einander: «Geh doch mal zu Anne», oder die Lehrpersonen schlagen vor, einen Termin abzumachen.

Dass ihr die Arbeit eine Herzensangelegenheit ist, zeigt sich auch darin, dass sie auf dem Handy (fast) immer erreichbar ist, dann, wenn die Jugendlichen Zeit oder Bedarf haben, mit ihr zu reden. Während des Gesprächs in ihrem Büro, der «Molkistube» neben der Cafeteria, klopft es mehrmals an der Türe.

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«Die Lernenden kommen in Scharen», sagt Stettbacher. Sie habe grosses Interesse an unterschiedlichen jungen Menschen und wolle sie auf ihren individuellen Wegen unterstützen. Manchmal brauche es auch zusätzliche Hilfe: Beim Thema Lernschwäche etwa kann sie helfen, jemanden zu finden, der Nachhilfe erteilt, oder sie hilft bei der Suche nach einem Therapieplatz. Denn das macht Anne Stettbacher nicht. Dafür organisiert sie für Lehrpersonen auch mal kurze Weiterbildungen zu Themen wie Aufmerksamkeits- oder Autismus-Spektrum-Störung.

 

Angebote der landwirtschaftlichen Schulen

Die landwirtschaftlichen Schulen haben verschiedene Unterstützungsangebote. Dazu zählen die Beratungsstelle für Lernende am Inforama, die «Lehrbegleitung» am Arenenberg oder der «Helppoint» an den Berufsfachschulen des Kantons Luzern.