Kurz & bündig

- In der JVA herrscht Arbeitspflicht, die Insassen arbeiten mit.
- Für ganzjährig genug Arbeit sorgen Tierhaltung und BFF.
- Bio wäre für die JVA nicht nachhaltiger als der jetzige Weg

Das Eingangstor zur Justizvollzugsanstalt JVA Witzwil ist nicht abgeschlossen, die Zäune nur halbhoch. «Wir sind hier im offenen Strafvollzug», erklärt Alfred Burri. Der gelernte Landwirt und Agronom ist Bereichsleiter Landwirtschaft in der JVA Witzwil und als solcher verantwortlich dafür, was und wie auf einem der grössten Bauernhöfe der Schweiz gearbeitet wird.

Zur JVA gehört eine 100 ha grosse Alp auf dem Chasseral

Mit einer Gesamtfläche von 825 ha übertrifft die JVA Witzwil die landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) eines durchschnittlichen Schweizer Landwirtschaftsbetriebes um mehr als das 39-fache. «Aber da sind über 100 ha von der Alp auf dem Chasseral mit eingerechnet», schränkt Alfred Burri ein.

Zur JVA gehören eine grosse Milchkuh- und eine Mutterkuh-Herde mit eigener Aufzucht, eigene Pferde und eine Fohlenweide, hunderte Freilandschweine und ein Dutzend verschiedene Ackerkulturen. Hinzu kommen eine eigene Werkstatt für Landmaschinen, eine Metzgerei, eine Futtermühle und eine Kartoffelzentrale. 25 Traktoren sind auf dem Gelände im Einsatz, der eigene Mähdrescher ist auf 300 ha Dreschfrüchten gut ausgelastet.

Obwohl es sich bei der JVA um einen Kantonsbetrieb handelt, bewegt sich dessen Landwirtschaftsbereich im selben Spannungsfeld wie ein «normaler» Schweizer Bauernhof: Es geht um ökologische Forderungen, die Einteilung von Arbeitskraft und Arbeitszeit – und es gibt ein Budget, das eingehalten werden muss.

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Eine leere Zelle ist budgetrelevanter als der Weizenertrag

«Die grösste Einnahmequelle sind die Taggelder für die Insassen», führt Al-fred Burri aus. Eine leere Zelle ist daher sehr viel budgetrelevanter, als wenn in einem Jahr 50 statt 60 dt/ha Weizen geerntet werden. Trotzdem bringen Einnahmen aus der Landwirtschaft einen substanziellen Anteil am Gesamtertrag der JVA und sind somit kein zu vernachlässigender Posten in der Mischrechnung. Das heisst aber auch, dass Burri bei Sparrunden des Kantons bewusster haushalten muss.

«Im Strafvollzug herrscht Arbeitspflicht», stellt Alfred Burri klar. Das bedeutet aber nicht, dass ihm für die Feld- und Stallarbeit quasi unbegrenzt Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Einerseits braucht es angemessene Tätigkeiten sowohl für ältere Insassen als auch für jene mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen, weshalb die JVA insgesamt über 20 verschiedene Arbeitsplätze bietet. Andererseits fallen Insassen gelegentlich wegen Krankheit aus.

In drei Teams (Tiere, Feld- und Ackerbau, Kartoffelbau) sind 25 Personen im Bereich Landwirtschaft der JVA angestellt, davon 20 Landwirte und 5 Sozialarbeiter.

Die meisten arbeiten gerne mit

In der Landwirtschaft arbeiten 40 Gefangene mit. «Drei Viertel von ihnen arbeiten gerne, manche muss man mehr motivieren», so Burri. Vor allem jene, die zuvor im geschlossenen Vollzug waren, schätzen die sinnvolle Beschäftigung. Dazu kommt ein leistungsabhängiges Arbeitsentgelt von ca. 30 Franken pro Tag, das die Insassen auswärts oder im kleinen Supermarkt der JVA ausgeben können.

Je nach Vollzugsverlauf bekommen die Insassen Ausgang und Urlaub, die wichtige Elemente sind für die spätere Wiedereingliederung. Auf dem grossen Domänengebiet sind sie teilweise per Velo frei unterwegs und kehren mittags und abends selbstständig zurück.

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Betriebsspiegel der JVA Witzwil

Gehört dem Kanton Bern, ÖLN-Betrieb

Ort: Gampelen BE
Betriebsfläche: 825 ha
LN: 640 ha
Pflanzenbau: 200 ha Getreide (100 ha Saatgetreide), 150 ha Grünland, 50 ha Mais, 45 ha Raps, 25 ha Zuckerrüben, 20 ha Kartoffeln (17 ha Pflanzkartoffeln), 50 ha Sonnenblumen, Eiweisserbsen, Soja, Feldgemüse, Obst, Reis, weitere Spezialkulturen
Tierbestand: 550 Stück Rindvieh (90 Milchkühe, 70 Mutterkühe, 70 Mastmuni), 90 Pferde (70 Aufzuchtfohlen, 8 Arbeits-pferde, etwa 12 Pensionspferde), 350 Freilandschweine (20 Muttersauen), 180 Legehennen, 20 Bienenvölker
Weiteres: Lagerhaltung von Kartoffeln, Metzgerei, Futtermühle, Hofladen, Werkstatt
Arbeitskräfte: Im Bereich Landwirtschaft 20 Landwirte, 5 Sozialarbeiter und 40 mitarbeitende Insassen

Landwirte der JVA sind auch Justizvollzugsfachmänner

Vor der Anstellung in der JVA warne er Landwirte jeweils vor: «Sie sind hier noch 50 Prozent Bauer», sagt Alfred Burri. Die Anleitung und Aufsicht der Insassen machen die anderen 50 Prozent aus. Dafür absolvieren die Landwirte berufsbegleitend eine zweijährige Ausbildung zum Justizvollzugs-fachmann.

Als Kantonsangestellte profitieren sie von einer 42-Stunden-Woche und fünf Wochen Ferien pro Jahr, was ansonsten in der Landwirtschaft eher die Ausnahme sein dürfte. Das Anhäufen von Überzeit ist zu vermeiden.

Die zeitlichen Ressourcen der Landwirte und der mitarbeitenden Insassen, die finanziellen Vorgaben und ein Fokus auf die Selbstversorgung des Betriebs mit eigenen Produkten bestimmen die Anbauplanung.

«Was möglich ist, verwertet oder veredelt die JVA selbst», so Burri. Schmunzelnd erwähnt er, dass die guten Stücke eher im Hofladen und das Hackfleisch auf den Tellern von Mitarbeitenden und Insassen landet. Auf rund 1,5 ha wachsen Freilandgemüse für die Küche und den Hofladen, dieser Bereich gehört aber zur Gärtnerei und ist einer anderen Leitung unterstellt.

Nicht zu viel automatisieren

Die vielen Tiere der JVA sichern genug Arbeit in den Wintermonaten, im Sommer bringt die Alpung eines Teils der Herde Entlastung während der Arbeitsspitzen auf den Feldern.

100 ha Ökoflächen benötigen viele Hände zum Jäten und Zurückschneiden von Hecken. In der Kartoffelzentrale wird die Ware sortiert und disponiert, in der Futtermühle stellt man Mischungen für die verschiedenen Tierarten und Tierkategorien der JVA zusammen.

«Zu viel Automatisieren und Rationalisieren dürfen wir nicht, es muss genug und auch einfache Arbeit für alle bleiben», erklärt Alfred Burri die Gratwanderung. Gemolken werden die 90 Milchkühe daher im Melkstand statt mit einem Roboter. Es gibt keine Mistschieber im Laufstall und auch das Futter wird von Hand zugeschoben, auch wenn es für die Grundration einen Mischwagen gibt.

Beim Rundgang durch den Milchvieh- und Pferdestall und auch beim Besuch der Aussenstation, wo die Aufzuchtrinder untergebracht sind, fällt die penible Sauberkeit der Umgebung auf: Nirgends liegt auch nur ein Strohhalm, jede Ecke ist blank gewischt. Das Hantieren mit dem Besen auf den weiten Plätzen ist eine beliebte Aufgabe im Gefängnis.

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Erfolgreich in der Viehzucht, modern im Ackerbau

Zwar sind die JVA-Landwirte quasi «Teilzeit-Bauern», aber es handelt sich um Spezialisten. Die Grösse des Betriebes lässt es zu, dass sie sich voll auf ihren Bereich konzentrieren können.

Im Büro von Alfred Burri hängt eine kleine Galerie mit Bildern von hornlosen Simmentaler-Stieren aus Witzwiler Zucht, die teilweise von Swissgenetics gekauft worden sind.

Im Ackerbau kommen moderne Methoden zum Einsatz, es wird zum Beispiel teilflächenspezifisch gedüngt – «die grossen Felder und die vorhandene Technik bieten sich dafür an». Auf einem 15-ha-Feld stehen dieses Jahr vier statt nur einer Kultur: In Streifen à 28 Meter gedeihen Weizen, Mais, Erbsen und Raps im Wechsel und erhöhen so die Diversität.

Seit auf dem Gelände der World Congress of Conservation Agriculture stattgefunden hat, achtet man in Witzwil im Ackerbau noch mehr auf bodenschonende Verfahren. Dies vor allem auch wegen der Torfsackung, für die das Seeland bekannt ist. «Mit möglichst wenig Bodenbearbeitung und Gründüngungen versuchen wir, den Humusabbau wenigstens zu bremsen und den Gehalt zu stabilisieren», sagt Alfred Burri.

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In der JVA werden immer wieder mit verschiedenen Partnern Projekte durchgeführt, sei es zum Anbau von Nassreis oder im Naturschutz. Vogelkundler finden hier ihr Eldorado und sind regelmässig mit ihren grossen Fernrohren auf der Pirsch. In Zu-sammenarbeit mit Birdlife wurde erst kürzlich eine verbesserte ökologische Infrastruktur auf der Landwirtschaftsfläche der JVA geplant. Mehr Querelemente sollen bestehende BFF vernetzen. Das Zusammenspiel aus Brachen, Ökowiesen und Hecken schafft ein ideales Brutgebiet für Grauammern. Die seltene Vogelart gesellt sich zu Feldlerchen, Schleiereulen, Neuntötern und weiteren Arten, die in Witzwil ein Zuhause gefunden haben.

Zusammenarbeit ja, aber«wir sind keine Forschungsanstalt»

Abo Tanja Falasca und Nathan Pythoud «Fokus Boden» Mit Bodenkartierung den Boden besser kennenlernen: Ein Pilotprojekt in Witzwil Thursday, 22. December 2022 Auch die Tierhaltung ist modern, obwohl der Kantonsbetrieb nur die Direktzahlungen für ökologische Leistungen, aber keine BTS- und RAUS-Beiträge bekommt. Die Aufzuchtrinder fressen direkt ab Fahrsilo und leben in einem alten Anbindestall, der mit wenig Veränderungen zum Laufstall umgebaut worden ist.

Der Milchviehstall ist zwar 40 Jahre alt, aber eine luftige Holzkonstruktion. Nebenan sind die Kälber unter einem hohen Dach in Einzel- und Gruppen-Iglus untergebracht, die sich gegenüberstehen und so Sichtkontakt ermöglichen. Hier sind die Jungtiere vor Regen, Sonne und Hitze geschützt und mit dem betonierten Boden sind die Gewässerschutzvorschriften zur Entwässerung der Iglus erfüllt.

Ideen und Inputs, wie man etwas machen könnte, kommen von verschiedener Seite. «In der Führung des Landwirtschaftsbetriebs sind wir ziemlich frei», bemerkt Alfred Burri. Man profitiere gerne von Zusammenarbeit, «aber wir sind keine Forschungsanstalt». Ausserdem muss er – wie jeder Landwirt – darauf achten, mit den verfügbaren Ressourcen die Arbeit auch bewältigen zu können. Disteln und Blacken zum Beispiel sind auf den 100 ha BFF ein Dauerthema.

Bio wäre nicht nachhaltiger als der «Witzwiler Weg»

Da Witzwil ein Kantonsbetrieb ist, stellt sich die Frage, warum noch nicht die Forderung nach einer Bio-Umstellung gekommen ist. «Wenn wir mit unserer grossen Fläche Bio würden, gäbe es womöglich eine Marktverzerrung», gibt Alfred Burri zu bedenken.

Zudem habe eine RISE-Nachhaltigkeitsprüfung gezeigt, dass für die JVA Bio nicht nachhaltiger wäre als der «Witzwiler Weg». Ausschlaggebend dafür waren vor allem der höhere Dieselverbrauch und die verstärkte Bodenbearbeitung der Bio-Bewirtschaftung. «Sollen wir auf so guten Böden Ertrag verschenken, weil wir das Unkraut nicht gezielt chemisch bekämpfen können – und gleichzeitig den CO2-Ausstoss erhöhen?», fragt Burri rhetorisch. Der Pragmatiker sieht Pflanzenschutzmittel als Errungenschaften, auf die er nicht verzichten möchte: «Ich mag wissenschaftlich gestützte Wege und setze die um.»

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Auch der oberste Chef ist ab und zu auf dem Feld dabei

«Das Bauern an sich ist hier nicht anders, nur alles etwas grösser», meint Alfred Burri. Da könne er schon mal schlecht schlafen, wenn 10, 20 ha Heu am Boden liegen und plötzlich Regen droht.

Beim Heuen ist Burri als oberster Chef auch mal dabei. Denn wenn zwei Gebläse und vier Ladewagen im Einsatz sind, gabeln 10 bis 15 Leute das Dürrfutter von Hand ein. Beim Unkrautstechen geht Burri ebenfalls gelegentlich mit gutem Beispiel voran.

Trotzdem ist vor allem das Büro Alfred Burris Arbeitsplatz. «Es ist vielleicht auch eine Alterserscheinung, dass ich Büroarbeiten nicht ungern mache. Ich muss es fast planen, mal auf einen Traktor zu sitzen», meint er lächelnd. Ab und zu macht Alfred Burri einen Feldrundgang, «das reicht dann wieder für eine Woche im Büro».

Eine Verkleinerung der Landwirtschaftsfläche wird diskutiert

Auf dem Gelände der JVA Witzwil soll zusätzlich zum offenen Vollzug mit maximal 184 Insassen der Gefängnisneubau für die Region Berner Jura-Seeland entstehen (50 Haftplätze und 150 Plätze im geschlossenen Vollzug). Für diesen Neubau müssen der alte Milchviehstall, der Kälberstall und die Gärtnerei sowie Wohn- und Bürogebäude weichen. Es würden also Investitionen in Ersatzbauten nötig, sollte die Tierhaltung im bisherigen Umfang weitergeführt werden. Daher steht die Frage im Raum, wie viel Landwirtschaft in der JVA künftig nötig ist, da der Kanton seine Hauptaufgabe nicht darin, sondern im Justizvollzug sieht. Beschliesst man eine Verkleinerung, könnten freigewordene Flächen laut der Berner Sicherheitsdirektion verpachtet werden.