In der Schweiz sind knapp 30 000 Insektenarten bekannt. Aber nur etwa 100 sind Schädlinge in der Landwirtschaft. Von den 30 000 Insektenarten seien vermutlich einige 1 000 relevant in der Schädlingsregulierung, schätzt Stefan Lutter, Fachperson für Agrarökologie an der HAFL. «Wir reden aber nur von etwa 50 Nützlingen.» Beim Marienkäfer allein gebe es in der Schweiz 80 verschiedene Arten. Einige Arten fressen sogar Mehltau-Pilze, zum Beispiel der Zweiundzwanzigpunkt-Marienkäfer.
«Damit will ich sagen, wie wenig Ahnung wir von der Vielfalt der Nützlinge haben. Wir wissen noch nicht genau, was die Einzelnen brauchen, um zu überleben», erklärt Lutter. Er schätzt, dass noch viel unentdecktes Potenzial in der natürlichen Schädlingsregulierung vorhanden ist.
Für namhafte Ackerschädlinge gibt es in den meisten Fällen nicht den einen Nützling für dessen Bekämpfung, wie es zum Beispiel bei der Trichogramma-Schlupfwespe der Fall ist. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel verschiedenster Nützlinge, die die Schädlinge dezimieren. Ausserdem wird bei Nützlingen häufig nur an Insekten und Vögel gedacht. Bei den Spinnen, Pilzen, Bakterien, Nematoden und Viren gibt es aber auch zahlreiche Arten wichtiger Nützlinge.
China tötete zahlreiche Spatzen und erlebte Insektenplage
«Man spürt zu wenig, was der effektive Wert der Nützlinge ist», meint Stefan Lutter. Um etwas ein Gespür für den Wert von Nützlingen zu bekommen, erzählt Stefan Lutter die Geschichte der Spatzenbekämpfung in China. Im Jahr 1958, als Mao Zedong Präsident von China war, befahl er die landesweite Ausrottung der vier Plagen. Zu den Plagen gehörten Ratten, Fliegen, Stechmücken und Spatzen. Die Spatzen wurden von Mao verurteilt, weil sie angeblich die Ernte von den Feldern und das Saatgut aus den Scheunen fressen würden.
Deshalb wurde während drei Tagen Jagd auf Spatzen gemacht sowie mit diversen Utensilien Lärm verursacht, sodass die Tiere nie landen und sich ausruhen konnten. Die Folge davon war, dass die Spatzen regelrecht tot vom Himmel fielen. Neben den Spatzen wurden auch andere Vögel dezimiert. Kurze Zeit später erlebte das Land eine Insektenplage, da wichtige Insektenfresser fehlten. Das ist ein extremes Beispiel, zeigt aber, dass jeder Nützling seinen Platz im Ökosytem hat.
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Nicht nur der Marienkäfer ist wichtig
Blattläuse können in verschiedenen Kulturen Schäden verursachen. Nützlinge wie Marienkäfer, Schlupfwespen, Schweb- und Florfliegen können bei der Blattlausbekämpfung helfen. Die genannten Nützlinge und ihre Larven fressen jeweils zwischen 50 und 150 Blattläuse pro Tag. Ein einzelner Marienkäfer allein frisst somit etwa 5000 Blattläuse in seinem gesamten Leben.
Zwischen den genannten Nützlingen gibt es gewisse Eigenheiten bei der Vermehrung. So legen beispielsweise Marienkäfer und Schwebfliegen erst Eier ab, wenn bereits Blattläuse im Feld sind. Florfliegen sind da weniger wählerisch, sie legen unabhängig von den Blattläusen ihre Eier ab. Somit sind Florfliegen bereits vor Ort, wenn die Blattläuse ins Feld einfliegen. Es gibt also viele verschiedene Nützlinge, die sich von Blattläusen ernähren und die es zu fördern gilt.
Doch wie können die Nützlinge ins Feld gebracht werden?
Nützlinge sind im Gegensatz zu den meisten Schädlingen sehr anspruchsvoll, was der Lebensraum, also die ökologische Infrastruktur, betrifft (siehe Grafik oben). «Deshalb wird trotz der Vorkommnis von Nützlingen oft die Bekämpfungsschwelle erreicht und der Einsatz von Insektiziden ist nötig, um grössere Ertragsausfälle zu vermeiden», erklärt Stefan Lutter.
«Ein weiteres Problem ist, dass Nützlinge Opportunisten und somit ziemlich ‹faul› sind», schmunzelt Lutter. In diversen Studien wurde der Effekt von Nützlingsstreifen auf die Schädlingsbekämpfung angrenzender Ackerkulturen untersucht. Es wurde festgestellt, dass je weiter entfernt der Nützlingsstreifen liegt, desto geringer der Effekt natürlicher Schädlingsbekämpfung ist.
Nützlinge suchen sich also Nahrung in unmittelbarer Nähe des Lebensraumes und gehen erst weiter, wenn vor Ort zu wenig Nahrung ist. «Die meisten Nützlinge bewegen sich nicht über mehrere hundert Meter. Bei Wildbienen beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass sich ihr Nachwuchs mehr als halbiert, wenn die Flugdistanz zwischen Nest und Nahrungsquelle um mehr als 150 Meter zunimmt», erklärt Lutter.
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«Man spürt zu wenig, was der effektive Wert der Nützlinge ist.»
Stefan Lutter, HAFL
Um Nützlinge fördern zu können, brauche es deshalb kleinräumige Strukturen im Ackerland. «Es müssen kleine Inseln geschaffen werden, auf denen Nützlinge immer wieder zwischenlanden können – wie Tankstellen», sagt Lutter. Deshalb mache es auch mehr Sinn, einen Nützlingsstreifen in der Mitte einer Parzelle anzulegen statt am Rand.
Als Inseln dienen aber nicht nur grossflächig angelegte Buntbrachen und Nützlingsstreifen. Auch Untersaaten oder einige tolerierte blühende Beikräuter wie zum Beispiel Taubnesseln können wertvolle Inseln sein.
Das Fördern natürlich vorkommender Nützlinge ist herausfordernd, aber machbar. Wer sich stärker mit dem Thema Nützlinge auseinandersetzen möchte, kann sich in das Buch «Pflanzenschutz im nachhaltigen Ackerbau» vertiefen.
Link Buch «Pflanzenschutz im nachhaltigen Ackerbau»
Wertvolle Elemete zur Nützlingsföderung
- Buntbrachen
- Rotationsbrachen
- Nützlingsstreifen
- Säume
- Ackerschonstreifen
- Extensive Wiesen
- Hecken
- Steinhaufen
- Teiche
- Trockenmauern
- Obstbäume