Kurz & bündig
- Beim Mostobst schwanken die Ernte-Mengen stark.
- Je grösser die Ernte, desto kleiner der Ertrag für die LandwirtInnen.
- Wenn die LandwirtInnen weniger von den Launen der Natur abhängig sein wollen, müssen sie sich etwas einfallen lassen.
- Wir zeigen drei Wege, den Ertrag beim Mostobst zu stabilisieren.
Nach den Rekordernten beim Mostobst 2018 und 2020 waren die Lager der Verarbeiter proppenvoll.
Extrem unterschiedliche Mostobst-Ernten
| 2010 | durchschnittliche Ernte |
| 2011 | Rekordernte |
| 2012 - 2016 | durchschnittliche Ernte |
| 2017 | historisch kleine Ernte (wegen Frost im Frühjahr) |
| 2018 | Rekordernte |
| 2019 | durchschnittliche Ernte |
| 2020 | Rekordernte |
| 2021 | kleine Ernte |
| 2022 | mittlere Ernte |
Um den Markt zu entlasten, legte der Schweizer Obstverband den im Jahr 2021 den Rückbehalt bei Mostäpfeln auf 13 Rappen pro Kilo fest. Mit dieser Massnahme wurde Mostobst-Konzentrat exportiert und der Ertrag der Bauern im Extremfall halbiert – ausser im Appenzellerland. Dort konnte der Preis gehalten werden – dank der Zusammenarbeit mit einem regionalen Verarbeiter.
1. Bschorle: Innovative Landwirte und Verarbeiter Hand in Hand
Fredi Klee, umtriebiger Präsident der IG Appenzeller Obst, war schon lange vor den Rekordernten auf der Suche nach einem attraktiveren Abnehmermarkt für Mostäpfel und Birnen. Er befürchtete, dass die Appenzeller Bauern irgendwann so weit wären, dass sie ihre Hochstämmer aus wirtschaftlichen Gründen fällen würden.
2013 nahm Klee an einer Veranstaltung über Projekte zur Regionalen Entwicklung (PRE) teil. Danach nahm er Kontakt mit der Mosterei Kobelt in Marbach SG auf. Von dort führte der Weg weiter zur Brauerei Locher in Appenzell AI.
[IMG 2] «Mit dieser Brauerei haben wir einen Lotto-Sechser gezogen», ist Fredi Klee überzeugt. Die Appenzeller Brauerei ist bekannt für ihre Nischenprodukte und Klees Anliegen fiel dort sofort auf fruchtbaren Boden.
«Die Brauerei kaufte uns die ganze Herbsternte des Jahres 2015 ab – ohne damals genau zu wissen, was für ein Produkt sie daraus kreieren würde», stellt Klee rückblickend mit Respekt fest. Besiegelt wurde diese Zusage schlicht und einfach per Handschlag. Erst drei Jahre später wurde ein schriftlicher Vertrag gemacht. Nach einer dreijährigen Entwicklungsphase kam 2016 die Bier-Fruchtsaft-Mischung Bschorle auf den Markt – und wurde zur Erfolgsgeschichte. Aus 21 Gründungsmitgliedern wurden in sieben Jahren 180 Lieferanten, «wobei uns auch Privatpersonen beliefern können», wie Klee betont.
Der Mitgliederzuwachs spiegelt sich auch in der Erntemenge, die alleine von 2017 auf 2018 von 40 auf mehr als 540 Tonnen stieg. Die Brauerei nahm trotzdem immer alles ab, sie fing die Ernteschwankungen auf. «Das Konzentrat ist schliesslich gut lagerbar und lange haltbar.»
«Mit der Brauerei Locher haben wir Obstbauern den Lotto-Sechser gezogen.»
Fredi Klee, Präsident IG Appenzeller Obst
Denn die IG Appenzeller Obst verkauft der Brauerei kein Obst, sondern das Konzentrat. Der Preis ist fair: Die Obst-Lieferanten erhalten 33 Rappen pro Kilo Mostäpfel und 25 Rappen für Mostbirnen. «Ohne Abzug, ohne Rückbehalt, ohne Unterschiede für Sorten oder Produktionsweise», wie Fredi Klee stolz erklärt.
Die Wege sind kurz: Das Obst wird in drei Sammelstellen angenommen. Die IG Appenzeller Obst organisiert den Transport zur Mosterei Kobelt in Marbach SG und anschliessend zur Mosterei Brunner in Steinmaur ZH, die den Saft zu Konzentrat und Aroma verarbeitet. Dieses wird von Bier-Lastwagen bei Retourfahrten zur Brauerei nach Appenzell gebracht.
Bschorle verkauft sich sehr gut, die Wachstumskurve zeigt noch immer nach oben. Das Produkt ist mittlerweile in der ganzen Schweiz erhältlich, denn Coop und Migros haben Bschorle gelistet. Der Trend zum alkoholfreien Konsum mag den Absatz beflügelt haben. Zustande gekommen ist das Ganze aber nur, weil Produzenten und Verarbeiter bereit waren Neues zu wagen.
2. Niederstamm-Anlage:Für die Masse mit Klasse
Doch es gibt noch andere Möglichkeiten, mit Mostobst Geld zu verdienen. Zum Beispiel, indem man den Flächenertrag erhöht. So wie Thomas Lehner aus Braunau TG. Der Landwirt aus dem Hinterthurgau setzt auf die Apfelsorten Remo und Renewa, die nicht alternanzanfällig und zudem feuerbrandtolerant sind.
[IMG 3 ]Lehner baut die Äpfel nicht auf Hochstämmen an, sondern in Anlagen. Wie eine klassische Niederstamm-Anlage für Tafelobst sieht das aber nicht aus: Die Reihen haben fünf Meter Abstand, die Bäume sind drei bis vier Meter hoch und die Pflanzdichte beträgt 800 Bäume pro Hektar. Schliesslich ist nicht nur Klasse, sondern auch Masse gefragt. Ein einzelner Baum trägt hier schon mal bis zu 100 Kilo Obst.
Im Schnitt rechnet Lehner mit 50 bis 60 Tonnen Ertrag pro Hektar. Das ist mehr als doppelt so viel wie in den meisten Hochstamm-Anlagen. Und der Arbeitsaufwand ist – verglichen mit klassischen Niederstammanlagen – überschaubar: Die Baumreihen werden gemulcht, die Bäume gedüngt, geschnitten und nur mit den nötigsten Pflanzenschutzmitteln behandelt.
«Beim Schnitt muss man allerdings umdenken», betont Lehner. «Wichtiger als die Besonnung jedes einzelnen Apfels ist, dass der Baum das Gewicht tragen kann. Dafür braucht er starke Äste und einen starken Stamm.» Dieser Stamm sollte hüfthoch hoch sein, damit die untersten Äste den Boden auch dann nicht berühren, wenn sie vollhängen.
Die Ernte hat er voll mechanisiert, sogar das Schütteln. Denn «die grösste Herausforderung ist es, die Riesenmenge Äpfel effizient aus der Anlage raus zu bekommen». Ein Lohnunternehmer nimmt mit einem Obstauflesegerät mit Seitenräumer und Bunker die Äpfel zusammen. Der Bunkerinhalt wird anschliessend in eine Sortieranlage entleert. Pro Stunde schafft Lehner 5 Tonnen Äpfel. Wenn alles rund läuft, kann Lehner so an einem Tag 70 Tonnen abführen.
«Niederstamm-Anlagen für Mostobst bringen Masse mit Klasse.»
Thomas Lehner, Landwirt
Lehner ist überzeugt: «Der Anbau von Mostobst in Niederstamm-Anlagen eignet sich auch für Direktvermarkter.» Denn im Gegensatz zu Hochstamm-Bäumen gehen die Niederstämmer schnell in Ertrag.
Da lohnt sich der Anbau sogar noch für einen Betriebsleiter, der in zehn Jahren pensioniert wird und keine gesicherte Nachfolge hat. Oder auf künftigen Bauzonen, denen ja bekanntlich die meisten Hochstamm-Bäume zum Opfer fallen. Oder für Direktvermarkter.
Die Investitionen (ohne Arbeit) bewegen sich in der Grössenordnung von 10 000 Franken pro Hektar. Der Vollertrag wird bereits nach wenigen Jahren erreicht, bei guter Pflege kann eine Anlage zwanzig Jahre und länger im Ertrag stehen. Eine Erntemechanisierung ist dabei nicht zwingend erforderlich: »Man kann die Äpfel in kleineren Anlagen ja auch ganz klassisch von Hand auflesen.»
Direktzahlungen für Hochstammbäume, Ökoqualität, Vernetzung und Landschaftsqualität kann man mit Niederstamm-Mostobstanlagen natürlich nicht abholen.
Auch der Unternutzen ist auf die ersten beiden Standjahre beschränkt. Der Ertrag stammt rein vom Mostobst-Verkauf. Bei den üblichen Preisen für Spezialmostobst geht die Rechnung für Lehner trotzdem noch auf, da die Anlage bereits amortisiert ist. Er hatte zudem Glück und war früh dran: Neue Abnahmeverträge für diese effiziente Art der Mostobstproduktion werden nämlich keine mehr gemacht.
3. Direktzahlungen optimieren: Wenn das Mostobst nicht zählt
Der Verzicht auf Direktzahlungen braucht Mut. Denn vor allem ältere Hochstämmer erreichen oft die Qualitätsstufe II der Biodiversitätsförderflächen BFF. Damit sind schon mal45 Franken pro Baum gesichert. Kommen noch Vernetzungs- und Landschaftsqualitätsbeiträge hinzu, können daraus schnell gesicherte 62 Franken werden.
Im Kanton Zürich werden grössere Obstgärten mit mindestens 150 oder 300 Bäumen in Kantonalen Fördergebieten zusätzlich mit 10 Franken pro Baum gefördert. So können 8000 bis 8500 Franken pro Hektar an Direktzahlungen nur für die Hochstammbäume zusammenkommen.
Das ist oft mehr als das, was über den Verkauf des Mostobsts erzielt wird. Allerdings dauert es 15 Jahre, bis eine Hochstamm-Anlage im Vollertrag steht. Und in dieser Zeit fliessen die Direktzahlungen nicht ganz so reichlich.
Bschorle
[IMG 4 ]Der Name ist Programm: Alkoholfreies Bier und Schorle (Fruchtsaft mit Mineralwasser) ergibt Bschorle – eine harmonische Verbindung aus Äpfeln, Birnen und Appenzeller Bier.
Das süffige Bschorle ist ein Produkt mit Herkunftsgarantie. Die 17 Apfel-und 11 Birnensorten für das spritzige Getränk stammen aus dem Inner-rhoder Bezirk Oberegg sowie aus sieben Ausserrhoder Gemeinden.
Gebraut – oder genauer gemischt –wird Bschorle von der Brauerei Locher in Appenzell. Diese stärkt mit fairen Preisen für Nischenprodukte seit Jahren die einheimische Landwirtschaft.
«Beim Genuss von Bschorle entfaltet sich im Mund ein frisches, prickelndes und harmonisches Bukett aus Obst mit einer dezenten Malz-Note», erklärt Geschäftsführer Karl Locher von der Brauerei Locher AG. «Das alkoholfreie Bschorle ist ein ideales Apéro-Getränk, das Folsäure enthält und das für Schwangere wichtige Vitamin B.»