Kurz & bündig

- Felder mit Pflanzkartoffeln werden zweimal extern kontrolliert.
- Die Feldbesichtigung läuft bei kollegialer Atmosphäre ab.
- Andreas Zurflüh und Daniel Eggimann wollen trotz des Aufwands weiter Pflanzgut produzieren.

Sie sieht einfach anders aus», sagt Andreas Zurflüh etwas ratlos. Er steht in seinem Kartoffelfeld, einen leeren Düngersack in der Hand und blickt auf die fragliche Pflanze herab. Der Landwirt aus Wynigen BE zögert nicht lange, gräbt die Staude sorgfältig mitsamt aller Knollen aus und packt sie in den Düngersack. Zurflüh produziert Pflanzkartoffeln der Sorte Victoria für die Semag AG und zieht an diesem Junimorgen zum wiederholten Mal durch die Reihen, diesmal in Begleitung von Feldbesichtiger Daniel Eggimann.

Ein Virus macht die Pflanzgutproduktion komplizierter

Dreimal pro Woche geht Andreas Zurflüh zur Säuberung in seine Pflanzkartoffeln und entfernt alle Stauden, die krank oder eben «anders» aussehen. Es könnte sich um einzelne sortenfremde Pflanzen handeln oder aber um einen Befall mit dem Kartoffelmosaikvirus. Dieser Erreger ist der Hauptgrund dafür, dass die Produktion von Pflanzkartoffeln eine reichlich komplexe Angelegenheit ist: Man unterscheidet elf verschiedene Pflanzgutklassen und vier Kategorien, die Produktion umfasst sechs Stufen (siehe Seite 52).

Noch würde es sich um Primärherde des Mosaikvirus handeln, erklärt Daniel Eggimann. Er ist Präsident der Semag AG, der Vermehrungsorganisation für Saatgetreide und Pflanzkartoffeln in den Kantonen Bern, Solothurn und Basel. Eggimann produziert selbst Saat- und Pflanzgut auf seinem Betrieb in Zollbrück BE. «Verschiedene Blattlausarten übertragen das Virus von den Stauden aus befallenen Knollen auf andere Pflanzen», fährt der Feldbesichtiger fort. Solche Sekundärherde könnten aber auch bereits entstehen, wenn sich die Blätter zweier Nachbarpflanzen aneinander reiben. Das Virus lässt die Kartoffelstauden kümmern und reduziert den Ertrag stark, deshalb darf Pflanz- und insbesondere Vermehrungssaatgut nur in sehr begrenztem Ausmass befallen sein – je nach Stufe zwischen 0 und 1,1 bzw. 10 Prozent für Gebrauchssaatgut.

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Betriebsspiegel der Familie Zurflüh

Andreas und Regina Zurflüh, Wynigen BE
LN: 40 ha
Kulturen: Pflanzkartoffeln, Saatgetreide, Brotgetreide, Futtergetreide, Silomais, Kunst- und Naturwiesen
Tierbestand: 30 Milchkühe mit eigener Nachzucht
Weitere Betriebszweige: Rund-ballen pressen
Arbeitskräfte: Betriebsleiterpaar, Sohn Remo

Als Feldbesichtiger «veiechli» unterwegs

Auch wenn es sich bei der Feldbesichtigung um eine Art Kontrolle handelt, ist die Stimmung nicht angespannt, sondern freundlich und kollegial. Man trifft sich auf dem Feld, geht gemeinsam durch die Reihen und bespricht den Zustand der Fläche. «Ich wähle mir jeweils zwei Reihen aus und zähle die kranken Pflanzen», erklärt Daniel Eggimann. Mindestens drei Auszählungen pro Hektare werden so durchgeführt. Worauf die Feldbesichtiger achten müssen und wie sie vorgehen sollen, ist von Agroscope klar geregelt. Jedes Jahr werden sie ausserdem in einer Schulung auf den neusten Stand gebracht. 94 ha Kartoffeln besichtigt Eggimann auf diese Weise jedes Jahr, er sei «veiechli ungerwägs», meint er schmunzelnd.

Andreas Zurflüh entfernt weiter Stauden, die seinem kritischen Blick nicht standhalten – auch wenn er zugibt, dass der Verlust jeder Pflanze ein bisschen schmerzt. Der Landwirt hat eine sechsjährige Fruchtfolge mit Silomais, Getreide, Kunstwiese und eben Pflanzkartoffeln, für die es eine Anbaupause von vier Jahren einzuhalten gilt. Das Legen sei je nach Pflanzgut eine Herausforderung, erzählt Zurflüh: «Dieses Jahr hatten wir Mikroknollen, so klein wie Murmeln.» Ans Setzen mit einem Automaten war da nicht zu denken, der alte Halbautomat kam zum Einsatz.

Sorgsam organisiertes Büro im Kofferraum

«Morgens und abends sind die Bedingungen fürs Säubern am besten», findet der Landwirt, «dann ist das Licht nicht so grell.» Er schätze es auch, bei dieser Gelegenheit etwas den Kopf auszulüften. Seine Gewissenhaftigkeit zahlt sich aus, Daniel Eggimann hat nichts zu beanstanden.

«Das ist mein Büro», meint der Feldbesichtiger lächelnd, als er den Kofferraum seines Autos öffnet. Darin liegen – sauber verpackt in Plastik-boxen – Stiefel und Regenhosen für die Besichtigung bereit, zusätzlich die nötigen Formulare für die Beurteilung der Vermehrungsflächen und ein Virusschnelltest, um verdächtige Pflanzen rasch überprüfen zu können.

45 Prozent der Posten wurden 2024 nicht anerkannt

Neben dem Zustand der Stauden beurteilt Daniel Eggimann jeweils auch die Umgebung des Feldes. Es ist ein Isolationsabstand zu anderen Kartoffelflächen einzuhalten, idealerweise hat es keine weiteren in der näheren Umgebung. «Wir hatten auch schon den Fall, dass das Kartoffelmosaikvirus von Blattläusen aus einem nahen Garten übertragen worden ist», schildert Eggimann. Nur ein Teil des betroffenen Feldes habe in der Folge noch zur Saatgutproduktion genutzt werden können.

2023 erging es 45 Prozent der Posten ähnlich, sie wurden nicht als Vermehrungspflanzgut anerkannt. Einen Viertel der Posten deklassierten die Vermehrungsorganisationen zu Klasse A, was sie zum Einsatz für die Produktion von Kartoffeln für den Markt freigab.

Das führte dazu, dass im vergangenen Jahr nicht nur viel Pflanzgut für die eigentliche Kartoffelproduktion, sondern auch viele Vermehrungsposten importiert werden mussten. Zwar waren über drei Viertel davon virusfrei, doch nicht alle entsprachen den strengen Kriterien der Vermehrungsorganisationen.

Vor 20 Jahren habe die Semag damit begonnen, Vermehrungspflanzgut unter Netzen anzubauen, erzählt Daniel Eggimann. Der Pflanzenschutz erfolgt durchs Netz hindurch, das bis zur Krautvernichtung die Stauden vor den virusübertragenden Blattläusen schützt. Sowohl Eggimann selbst als auch Andreas Zurflüh haben Flächen mit Netzen. Um sie bei Bedarf behandeln zu können, werden die gedeckten Reihen zwischen offenen (und somit befahrbaren) Reihen im Vermehrungs-Kartoffelfeld platziert.

Sonderbewilligung für Öl gegen Blattläuse

«Mittlerweile haben auch andere in der Schweiz mit dem Einnetzen begonnen und die Holländer ebenso», sagt Eggimann. Wenn etwa die Frites-Sorte Innovator nicht als Vermehrungspflanzgut unter Netz verfügbar gewesen wäre, hätten nur 30 Prozent der heutigen Saatgutanbaufläche heuer realisiert werden können, gibt der Landwirt zu bedenken.

Im Freiland erlaubt eine Sonder-bewilligung den Einsatz von Paraffinöl auf Vermehrungsflächen von Kartoffeln. Es handelt sich dabei nicht um ein Insektizid. Vielmehr verhindert das Öl, dass Viruspartikel von den Mundwerkzeugen der Blattläuse in die Blätter der Kartoffelpflanze eindringen. Pro Parzelle braucht es etwa acht Spritzungen, um die nachwachsenden Blätter jeweils wieder zu schützen.

Neben den Vermehrungsorganisationen (VO) sind mehrere Bundes-ämter und natürlich der Markt in die Pflanzgutproduktion involviert. Letzterer bestimmt, welche Sorten hierzulande vermehrt werden. «2024 ist zu bestimmen, was 2026 auf dem Teller landet», sagt Daniel Eggimann. So kann 2025 die Produktion des Pflanzguts erfolgen, aus dem die Kartoffelernte 2026 entsteht.

Die Landwirte profitieren von einem Einzelkulturbeitrag von 700 Franken/ha für die Produktion von Saatkartoffeln – vorausgesetzt, die Parzelle besteht die Beurteilung im Rahmen der ersten Feldbesichtigung. Die zweite erfolgt kurz vor der Krautvernichtung, um den dafür passenden Termin zu bestimmen. Die Knollenmuster für die Viruskontrolle werden drei Wochen nach der Krautvernichtung gegraben. Für die Analyse ist Agroscope zuständig.

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«Da weisst du, was du in den Boden setzt»

Dass in der Schweiz eigenes Pflanzgut produziert wird, macht den Kartoffelbau weniger abhängig von Importen. Die Landwirte haben den zusätzlichen Vorteil, dass sie eigenes Pflanzgut verwenden können, statt es zuzukaufen. «Da weisst du, was du in den Boden setzt», bemerkt Daniel Eggimann. Er hatte vor Jahren mit gekauftem Pflanzgut grössere Virose-Probleme auf seinem Betrieb. Die intensive Betreuung der Fläche, je nachdem das Einnetzen eines Teils der Reihen und die Feldbesichtigungen bedeuten aber einen Mehraufwand. Ungünstige Witterung und das Risiko für Virosen machen den Anbau zusätzlich unattraktiver. Es sei auch eine Personalfrage, gibt Andreas Zurflüh zu bedenken, zumal nicht immer mit einem Automaten gesetzt werden kann.

Pflanzgut ist Tradition und Herausforderung

Bei Zurflühs aber hat die Saat- und Pflanzgutproduktion Tradition: «Schon mein Vater und Grossvater haben Kartoffeln vermehrt», erzählt der Landwirt. Auch schätze er die Heraus-forderung, welche die Produktion mit sich bringe.

Daniel Eggimann sagt von sich, er habe sich ganz dem Kartoffelbau verschrieben und die Saatgutproduktion sei – neben wenigen Mast- und vier Mutterkühen, Lohnarbeiten und seiner Tätigkeit als Feldbesichtiger sowie saisonal bei regionalen Verladestellen – sein wichtigster Betriebszweig.

Beide wollen den Unwägbarkeiten zum Trotz dabeibleiben, und auch Andreas Zurflühs Sohn Remo hält es so. «Die Schweiz braucht Pflanzkartoffeln und es ist eine interessante Kultur», findet er.

40 Sorten im Anbau

In der Schweiz werden – im Gegensatz zum Getreide – keine Kartoffeln im grösseren Stil gezüchtet. Bis auf die Nischensorte Blaue St. Galler sind alle in der Schweiz professionell angebauten Kartoffeln EU-Sorten. Von 40 Hauptsorten wird im Inland auf rund 1400 ha Pflanzgut produziert. Bei einer Anbaufläche von 11 000 ha beläuft sich der Bedarf an Pflanzkartoffeln auf rund 27 000 t pro Jahr. Für den Anbau 2024 waren aber nur 16 000 t aus Schweizer Produktion verfügbar. Der Inlandabsatz 2024 belief sich auf 25 000 t (Schweizer Produktion, plus 9000 t Import).


Stufen der Vermehrung

Bei Kartoffeln gibt es pro Pflanze nur wenige Knollen – nicht zu vergleichen mit den vielen Samen, die beispielsweise ein Salat produziert oder eine Weizenähre enthält. «Daher dauert der Aufbau von hochwertigem Pflanzgut sehr lange», sagt Adrian Krähenbühl, Geschäftsführer der Semag AG. Die Vermehrung durchläuft folgende Schritte:

Bis fertiges, zertifiziertes und damit gesundes Pflanzgut zum Legen bereitsteht, dauert es im Fall von Kartoffeln ein Jahrzehnt.

1. Substrat flüssig

Kartoffelpflanzen werden unter Labor-bedingungen aus Gewebekulturen gezogen. Das Resultat sind winzige Setzlinge oder Mikroknollen, das «Ausgangsmaterial».

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2. Substrat fest

Die Setzlinge wachsen in kleinen Kisten in steriler Erde in einem Tunnel unter einem Insektenschutznetz heran. So werden Blattläuse ferngehalten. Nach der Ernte liegen kleine (z. T. nur murmelgrosse) Knollen vor, die als «Vorstufenpflanzgut» gelten.

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3. Insektengeschützt

Das Vorstufenpflanzgut wird im Feld unter einem Insektenschutznetz angebaut. Der Pflanzenschutz erfolgt durch das Netz, das bis zur Krautvernichtung an Ort und Stelle bleibt und dessen Enden eingegraben werden.

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4. Feld

Es folgen drei Jahre Anbau der Knollen ohne Netzschutz, im vierten Jahr darf der maximale Viruswert der Ernte 0,5 Prozent betragen. Zuvor gilt Nulltoleranz.

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5. Basispflanzgut

Die Vermehrung läuft weiter, bis die achte Generation der Kartoffelknollen erreicht ist. In diesen Jahren spricht man von «Basispflanzgut», der maximal zulässige Viruswert darf 1,1 Prozent nicht übersteigen.

6. Zertifiziertes Saatgut

Zehn Jahre nach der Mikrovermehrung im flüssigen Substrat liegt Pflanzgut der Klasse A vor. Damit können Speisekartoffeln für die nächste Ernte produziert werden.