Christian Hofer (49) ist seit 1. Dezember 2019 Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW. Hofer hat an der ETH Zürich Agronomie (Fachrichtung Pflanzenbau) studiert und dort auch das Lehrpatent erworben, berufsbegleitend hat er einen Master of Business Administration MBA in Integrated Management an der Berner Fachhochschule BFH absolviert.
Hofers berufliche Karriere führte ihn zuerst als landwirtschaftlicher Berater ans Inforama Rütti BE, danach führte er die Geschäftsstelle Profi-Lait und wirkte gleichzeitig als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaus AGFF. 2003 wurde er Verkaufsleiter Schweiz DeLaval in Sursee LU. Von 2009 bis 2017 war er Vizedirektor des BLW und leitete den Direktionsbereich Direktzahlungen und ländliche Entwicklung. Danach leitete er während fast zwei Jahren das Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern.
Christian Hofer wohnt mit seiner Familie im oberaargauischen Bannwil BE, wo er als Bauernsohn aufgewachsen ist.
Herr Hofer, wann standen Sie zum letzten Mal in einem Stall?
Christian Hofer: Diesen Herbst. Ich bin in einer Bauernfamilie aufgewachsen. Der Betrieb wird innerfamiliär weitergeführt und da kommt es ab und zu vor, dass ich auf dem Traktor sitze oder im Stall stehe. Mit den Bauern in unserem Dorf habe ich regelmässig Kontakt.
Kommen die Landwirte im Dorf auf Sie zu?
Ich habe einen sehr freundschaftlichen und kollegialen Austausch mit den Landwirten. Ich habe das Gefühl, dass ein Austausch auf Augenhöhe stattfindet. Im Sinne, dass man Verständnis für die jeweilige Rolle hat. Meine Rolle ist im Umfeld der Verwaltung mehrheitsfähige Lösungen für den Bundesrat und die Politik vorzuschlagen, ihre bei der praktischen und unternehmerischen Arbeit auf dem Betrieb.
Und wie bekommen Sie mit, was die ganze Branche beschäftigt? Treffen Sie sich mit Exponenten wie Markus Ritter, Urs Brändli oder Meret Schneider?
Wir sind mit sehr vielen Leuten aus der Branche oder weiteren Organisationen im Austausch. Dazu gehört die bäuerliche Seite, es sind aber auch die Umweltverbände oder die Konsumentinnen und Konsumenten. Das kann sein, dass man sich einmal zum Mittagessen trifft und etwas diskutiert. Wir haben auch Sitzungen miteinander, bei denen man dann ganz spezifische Themen vertieft diskutiert.
Ist es teilweise einfacher, hinter verschlossenen Türen miteinander zu reden?
In der Politik geht es vor der Kamera oder dem Mikrofon in einer öffentlichen Debatte oft recht hart zu und her. Dennoch erlebe ich eigentlich selten oder nie, dass ich als Person angegriffen werde. Es gibt gewisse Themen, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Und ich verstehe, dass ein Umweltverband eine andere Meinung hat als die bäuerliche Seite. Im BLW setzen wir uns für mehrheitsfähige Lösungen ein.
Dennoch gibt es Landwirte, die vom «Bundesamt gegen Landwirtschaft» reden. Was löst das bei Ihnen aus?
Das BLW setzt sich sehr dafür ein, dass die Schweizer Landwirtschaft durch eine nachhaltige Produktion massgeblich zur Ernährungssicherheit in der Schweiz beitragen kann. Es braucht zukunftsorientierte Lösungen. Und darum ist klar, dass wir das Bundesamt FÜR Landwirtschaft sind. Es kann sein, dass negative Stimmen ab und zu aufkommen. Als Amt stehen wir teilweise von gewissen Akteuren her auch unter Druck. Aber ich glaube, das sind einzelne Stimmen. Und im Grossen und Ganzen sieht man, dass sich das Bundesamt für Landwirtschaft wirklich für die Interessen der Bäuerinnen und Bauern einsetzt.
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Der BLW-Slogan lautet: Wir handeln jetzt für morgen. Wollen Sie also ein Bundesamt gegen die überholte Landwirtschaft und für eine nachhaltigere, moderne Landwirtschaft sein?
Nein, so ist das nicht gemeint. Unser Auftrag ist es, Perspektiven zu schaffen. Und das zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern.
Das Bundesamt für Umwelt wird sehr stark als Anwalt wahrgenommen. Wieso ist das beim BLW anders?
Mir ist auch hier wieder der Blick in die Zukunft wichtig. Wie schaffen wir es in der Schweiz bestmöglich, die eigene Bevölkerung mit inländischen Lebensmitteln zu versorgen? Und zwar heute wie auch morgen.
Bei dieser Entwicklung spielen auch Klimawandel und die wachsende Bevölkerung eine sehr zentrale Rolle. Wir müssen hier wirklich Lösungen suchen, damit unsere nachfolgenden Generationen mit unseren Böden ebenso wertvollen Ertrag generieren können, wie das heute möglich ist. Und da gehört ein sorgsamerer Umgang mit den Ressourcen dazu.
Mit unseren Entscheiden vertreten wir also durchaus die Interessen der Landwirtschaft.
Konkret: Wie ist der Stand der Dinge bei der sistierten AP 22+?
Das Parlament hat die Beratung zur Agrarpolitik 22+ sistiert, bis der Bundesrat einen Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik vorlegt. Diesen Bericht erarbeiten wir im Moment.
Er sollte vor den Sommerferien 2022 vom Bundesrat verabschiedet werden. Danach wird das Parlament entscheiden, ob es die Agrarpolitik 22+ beraten will oder nicht. Parallel dazu hat das Parlament eine parlamentarische Initiative verabschiedet zu der Risikoreduktion bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln.
Müssen Sie jetzt mit kleineren Schritten auf anderen Wegen zu Ihrem Ziel kommen?
Das Parlament hat die AP 22+ sistiert, aber die Themen der Absenkpfade aufgenommen, weil es gerade im Bereich der Umwelt gewisse Verbesserungen verlangt – auch im Zusammenhang mit den Abstimmungen über die Agrar-Initiativen im Juni 2021.
Parallel zur Sistierung gibt es Vorstösse, zum Beispiel zur Einführung der Ernteversicherung oder zur sozialen Absicherung der Bäuerinnen. In der Summe zeigt es mir, dass wahrscheinlich die AP 22+ übers Ganze gesehen nicht falsch war.
Sie erarbeiten jetzt geduldig den Bericht, aber daneben laufen die Vorstösse. Wer hat denn da noch die Übersicht, was wo läuft?
Den haben wir natürlich. Wenn man die Etappen anschaut, sind wir jetzt in einer ersten Etappe daran, diese parlamentarische Initiative umzusetzen: Das Gesetz wurde verabschiedet, der Bundesrat wird im kommenden Jahr die Verordnungen dazu verabschieden.
Die zweite Etappe: Wir machen diesen Bericht bis nächsten Sommer und dann entscheidet das Parlament, wie sie mit der AP 22+ vorgehen will.
Parallel dazu gibt es jährlich ein Verordnungspaket, mit notwendigen Anpassungen. Solche werden oft auch durch die bäuerlichen Interessenvertreter gewünscht.
Ein Thema, das immer wieder kommt, ist die administrative Entlastung. Dazu gab es 2015 ein Projekt. Dennoch klagen Landwirte über den Papierkrieg.
Die administrativen Erleichterungen für Landwirtinnen und Kantone bleiben für das BLW ein zentrales Element, aber auch für die Agrarpolitik. Zur administrativen Vereinfachung 2015 wurde ein entsprechender Bericht gemacht. Und in jedem Verordnungspaket versucht man, gewisse Elemente aufzunehmen. Aus diesen Bereichen sind mittlerweile 80 Vereinfachungen umgesetzt worden.
Was ist eine konkrete Vereinfachung aus diesen 80 Elementen?
Beim risikobasierten Kontrollsystem wird neu mit Fokus-Kontrollpunkten gearbeitet. Das hat die Kontrolle auf den Betrieben massiv vereinfacht.
Nehmen wir das Schleppschlauch-Obligatorium als weiteres konkretes Beispiel: Wie stellen Sie sicher, dass Beschlüsse in der Praxis umsetzbar sind?
Der Schleppschlauch wurde zuerst regional im Rahmen von Ressourcen-Programmen unterstützt. Es hat sich gezeigt, dass es national umsetzbar ist und es wurde die nationale Förderung eingeführt. So hat sich eigentlich diese Technik etabliert.
Seit 2012 – mit der AP 14–17 – ist klar, dass diese Ausbringtechnik obligatorisch wird. Die Landwirte konnten sich über eine lange Zeit vorbereiten. Bei der Ausarbeitung der Massnahme selbst haben wir sehr stark mit den Kantonen zusammengearbeitet.
Es gibt eine entsprechende Vollzugshilfe, die im Frühling 2021 verabschiedet – und in einer weiteren Runde mit Kantonen und der Branche nochmals angeschaut und überarbeite wurde. Deshalb ist das für mich ein sehr gutes Beispiel, wo man die entsprechende Entwicklung früh begonnen hat, zuerst regional und dann schweizweit.
Wenn wir den Blick auf das ganze Land richten: Sie sagen, Umfragen zeigen, dass die SchweizerInnen ihre Bauern schätzen. Ist es wirklich eine gleichberechtigte Beziehung?
Wie wichtig der Bevölkerung die Landwirtschaft ist, hat die Covid-Pandemie gezeigt. Das Vertrauen der Bevölkerung in unsere inländische Lebensmittelproduktion ist sehr hoch, die Regionalität und die Qualität werden geschätzt.
Darf ich widersprechen? Das Interesse an den Hofläden ist ja auch wieder zurückgegangen nach dem Shutdown im Frühling 2020.
Es war ein Signal, wie wichtig es ist, dass wir eine inländische Produktion haben. Ich bin überzeugt, dass ein grosser Teil der schweizerischen Bevölkerung auch diese Landwirtschaft oder auch diese Produkte, sehr schätzt.
Es ist wichtig, dass die Konsumenten und die Landwirtschaft in einem Dialog stehen.
Sie glauben auch nicht an den Stadt- Land-Graben?
Die Abstimmung über die Agrar-Initiativen hat gezeigt, dass bis weit in die Agglomerationen hinein die Bevölkerung die Landwirtschaft in ihren Anliegen unterstützt.
Es gab dort schon einen Unterschied gerade zwischen den Kernstädten und den ländlichen Gebieten. Ich möchte aber nicht einen Graben herbeireden. Man sieht, dass das Verständnis in gewissen Themen unterschiedlich ist.
Wahrscheinlich wird es noch wichtiger, dass man zeigt, wie etwas produziert wird und dass man auf die Bevölkerung zugeht und damit auch dieses Vertrauen in die eigene Produktion stärken kann.
Aber am Schluss geht es auch um das Portemonnaie. Was müssen die Landwirtinnen und Landwirte tun, damit sie einen anständigen Preis für ihre Arbeit bekommen?
Mir ist sehr wichtig, dass die Landwirtschaft und die Bäuerinnen und Bauern es schaffen, eine möglichst hohe Wertschöpfung mit ihren Nahrungsmitteln zu erzielen und damit das entsprechende Einkommen für die Familien schlussendlich erzielen zu können. Was ein gerechter oder ein fairer Preis ist, hängt vom Betrachter ab. Auch ein Landwirt ist ein Einkäufer und ein Verkäufer. Und letztlich spielt beim Preis der Markt, also Angebot und Nachfrage, eine entscheidende Rolle.
Bei der Entwicklung der Einkommenssituation ist der Trend über die letzten Jahre positiv.
Dennoch gibt es jedes Jahr weniger Landwirte.
Ja, aber das hängt nicht nur rein mit dem Einkommen zusammen, sondern es gibt eine gewisse Strukturentwicklung auch aufgrund des technologischen Fortschritts. Wenn wir die landwirtschaftliche Entwicklung über die letzten Jahre betrachten, sehe ich UnternehmerInnen, die ihre Betriebe sehr erfolgreich weiterentwickeln, Visionen und verschiedenste Möglichkeiten haben, wie sie ihre Betriebe erfolgreich in die Zukunft führen können.
Ich bin extrem zuversichtlich für die Zukunft, wenn ich sehe, was für eine dynamische Generation von Bäuerinnen und Bauern in die Landwirtschaft einsteigt und ihre Betriebe weiterführt.
Finden diese jungen Leute auch in der Bauernlobby Gehör?
Die Junglandwirte haben sich selber organisiert, weil sie auch eine Stimme und sich in diese politische Meinungsbildung einbringen wollen. Sie sind ein sehr erfrischendes Element in dieser Agrarpolitik.
Die bäuerlichen Interessenvertreter in Bundesbern sind sehr gut organisiert und finden Mehrheiten. Das zeigt ja, dass diese das politische Handwerk gut verstehen.
«Es ist wichtig, dass die Konsumenten und die Landwirtschaft in einem Dialog stehen»
Christian Hofer, BLW
Lassen Sie uns einen Blick über die Schweizergrenze wagen: China will die Subventionen abschaffen. Die USA kritisieren die EU und die Schweiz, weil die Produktivität sinke. Die ASP steht vor der Türe. Wie positioniert sich da das BLW?
Auf der einen Seite haben wir eine eigenständige Politik. Andererseits sind wir natürlich auch sehr abhängig vom internationalen Handel, auch von der internationalen Politik. Wir sind – auch da – in einem ständigen Dialog, etwa mit der WTO oder UNO-Organisationen wie der FAO und auch mit unseren Handelspartnern.
Die grossen Herausforderungen der Zukunft, wie zum Beispiel Ernährungssicherheit, Klimawandel, Biodiversität, aber auch gewisse Epidemien, die auf uns zukommen beschäftigen nicht nur die Schweiz. Solche Herausforderungen können nur im internationalen Kontext gelöst werden.
Auch innerhalb der Verwaltung ist es so, dass wir intensiv mit anderen Ämtern zusammenarbeiten.
Gewisse Stimmen sagen, dass gerade das BLW und das BAFU eher gegeneinander arbeiten …
Den Eindruck teile ich nicht. Wir sind zwei verschiedene Ämter und wir haben teilweise unterschiedliche Interessen, aber arbeiten konstruktiv zusammen. Bei gewissen Themen muss am Ende die Politik entscheiden.
Der Klimawandel etwa macht aber nicht vor Amtsgrenzen halt: Wie kann das BLW die LandwirtInnen unterstützen?
Der Klimawandel ist ein Thema, das die Land- und Ernährungswirtschaft extrem stark beschäftigen und direkt treffen wird – aber auch andere Akteure. Die Landwirtschaft ist auf der einen Seite sehr stark betroffen, wie wir es in diesem Jahr erlebt haben. Und auf der anderen Seite ist sie durch ihre Emissionen auch Treiber.
Deshalb aktualisieren wir momentan die Klimastrategie für die Land- und Ernährungswirtschaft aus dem Jahr 2011. Das machen wir zusammen mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und dem Bundesamt für Umwelt.
Und wie kommt diese Strategie am Ende auf den Hof?
Agroscope richtet die Pflanzenzüchtung so aus, dass man robuste und trockentolerante Sorten hat. Ein anderer Weg ist jener über Strukturverbesserungs-Massnahmen, wo wir Bewässerungssysteme unterstützen. Das sind zwei Beispiele, wo wir wirklich sehr stark daran sind, die Land- und Ernährungswirtschaft konkret zu unterstützen.
Eine letzte Frage: Herr Hofer, spielen Sie Schach?
Ja, aber ich bin kein guter Schachspieler. Wieso fragen Sie?
In vielen Aussagen erwähnen Sie Dialog, Beziehungspflege, die Suche nach mehrheitsfähigen Lösungen …
Ich glaube, das ist gerade für die Agrarpolitik zentral – aber auch sonst grundsätzlich in der Politik. Politik machen Sie nicht in einem stillen Kämmerlein. Sie müssen ja die Anliegen der Gesellschaft, der verschiedenen Akteure kennen und die auch mitberücksichtigen. Wir wollen mit unserer Arbeit für die Politik gute Grundlagen für deren Entscheide legen.
Und da gehört es eben dazu, dass wir uns mit den verschiedensten Organisationen, aber auch mit den Bäuerinnen und Bauern austauschen.
Alle Interviews für «die grüne» werden zunächst im Wortlaut transkribiert und danach – in Absprache mit den Gesprächspartnern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und wenn notwendig gekürzt.