Kurz & bündig
- Die Schweiz hatte im Juni über das Stromgesetz (Mantelerlass) abgestimmt. Dabei kam ein klares Ja zum Ausbau der erneuerbaren Energien heraus.
- Die Solarenergie werde sich neben der Wasserkraft endgültig als zweites Standbein etablieren, sagt Priska Wismer-Felder.
- Das Potenzial der Landwirtschaft bei der erneuerbaren Energie schätzt sie als gross ein.
Am 9. Juni hat die Schweizer Stimmbevölkerung die Vorlage für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien angenommen. Frau Wismer-Felder, was erwarten Sie, wird nun geschehen?
Priska Wismer-Felder: Die deutliche Annahme des Stromgesetzes hat eine positive Signalwirkung auf Wirtschaft und Politik: Das Bekenntnis der grossen Mehrheit der Bevölkerung zur Energiestrategie 2050 und zum forcierten Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien schafft Investitionssicherheit.
Insbesondere die Solarenergie wird sich neben der Wasserkraft endgültig als zweites Standbein etablieren. Schon im vergangenen Jahr wurden in der Schweiz rund 1500 Megawatt Photovoltaikleistung neu installiert, was einer Verdreifachung des Ausbaus im Vergleich mit 2020 entspricht. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Wachstumstrend nun fortsetzt und wir in den nächsten drei Jahren den für die Zielerreichung angestrebten jährlichen Ausbau um 2000 Megawatt erreichen werden.
Auch die Biomasse und die Wasserkraft profitieren vom neuen Stromgesetz. Bei der Windenergie hängt das Ausbautempo entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, die Planungs- und Bewilligungsverfahren zu verkürzen.
Was bedeutet das konkret für die Landwirtschaft? Welchen Beitrag können LandwirtInnen leisten, um die Schweiz mit Energie zu versorgen?
Das Energiepotenzial der Landwirtschaft ist enorm! Grosse Scheunen- und Stalldächer bieten beispielsweise viel Platz für Solaranlagen. Ein Hindernis für deren Nutzung war bisher oft der fehlende oder ungenügende Anschluss ans Stromnetz. Das Stromgesetz sieht vor, dass die Kosten für notwendige Verstärkungen der Anschlussleitungen von der Parzellengrenze bis zum Netzanschlusspunkt künftig solidarisch von der Allgemeinheit getragen werden.
Zudem werden in der Schweiz erst fünf Prozent des anfallenden Hofdüngers energetisch genutzt. Das verbleibende Potenzial für die energetische Nutzung von Gülle und Mist ist also riesig.
Wie schätzen Sie die Motivation der LandwirtInnen ein, solche Projekte umzusetzen?
Generell spüre ich im Gespräch mit Bäuerinnen und Bauern ein grosses Interesse, diese Potenziale zu realisieren. Ich bin überzeugt, dass die Landwirtschaft ihren wichtigen Beitrag zur sicheren Stromversorgung der Schweiz leisten will und wird.
Wird der Bau der Biogasanlage für LandwirtInnen nun einfacher und günstiger?
Neue Biogasanlagen und bestehende Anlagen, die wesentlich erweitert werden, können neu von einer gleitenden Marktprämie profitieren. Dabei handelt es sich um ein Fördersystem, das dem heutigen der kostendeckenden Einspeisevergütung – kurz KEV – sehr ähnlich ist: Dem Anlagenbetreiber wird ein Vergütungssatz garantiert, der sich an den Gestehungskosten zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Anlage orientiert.
Zwar ist die Verordnung in diesem Bereich noch nicht im Sinn der Branche. Die Rückmeldungen in der Vernehmlassung sind auch entsprechend ausgefallen und die Branche ist diesbezüglich im engen Austausch mit der Verwaltung.
Landwirtschaftliche Biogasanlagen profitieren auch von raumplanerischen Erleichterungen. Anlagen zur Gewinnung und zum Transport von Energie aus Biomasse oder damit zusammenhängende Kompostieranlagen gelten neu auf Landwirtschaftsbetrieben als zonenkonform und sind – unter gewissen Voraussetzungen – nicht mehr planungspflichtig.
Wie sieht es bei der Photovoltaik aus?
Solaranlagen werden weiterhin mit Investitionsbeiträgen gefördert. Neu muss die Vergütung für den ins Netz eingespeisten Strom gesamtschweizerisch dem vierteljährlich gemittelten Marktpreis zum Zeitpunkt der Einspeisung entsprechen. Zudem muss der Bundesrat Mindestvergütungen festlegen, die sich an der Amortisation von Referenzanlagen über deren Lebensdauer orientieren. Das ist ein Gamechanger: Mehr Investitionssicherheit geht nicht.
Ein Ziel der Vorlage sind auch Stromsparmassnahmen. Inwiefern wird die Landwirtschaft davon betroffen sein?
Von den Gegnern des Stromgesetzes wurde teilweise die Angst geschürt, der Bund würde uns bald vorschreiben, wie viel Strom wir verbrauchen dürfen. Das ist natürlich nicht der Fall.
Die Zielvorgaben, die der Bundesrat jährlich festlegen wird, dürfen gemäss Stromgesetz explizit keine Beschränkung der Stromabsatzmenge enthalten. Vielmehr werden Stromlieferanten ab einer bestimmten Grösse verpflichtet, bei ihren Endverbrauchern Massnahmen zur Effizienzsteigerung an bestehenden elektrisch betriebenen Geräten, Anlagen und Fahrzeugen durchzuführen. Davon profitiert auch die Landwirtschaft, denn die billigste Kilowattstunde ist und bleibt jene, die gar nicht erst verbraucht wird.
Was sagen Sie jenen, die Angst haben, dass nun ihr Land mit Windrädern oder Photovoltaikpanels verbaut wird?
Dass auch dies mit Sicherheit nicht der Fall sein wird. Das Stromgesetz sieht vor, dass Wind- und Solaranlagen grundsätzlich in sogenannten Eignungsgebieten gebaut werden. Diese Gebiete müssen von den Kantonen in ihren Richtplänen festgelegt werden. Dabei muss zwingend eine sorgfältige Interessenabwägung zwischen Schutz und Nutzen vorgenommen werden.
Zu den zu berücksichtigenden Schutzinteressen gehören neben dem Natur-, Landschafts- und Gewässerschutz sowie der Walderhaltung insbesondere auch der Kulturlandschutz inklusive Fruchtfolgeflächen.
Wo wird es auch in Zukunft noch harzen?
Was mich wirklich beunruhigt, sind diese ständigen Einsprachen. Das politische System der Schweiz ist darauf ausgerichtet, dass unterschiedlichste Interessengruppen zusammenarbeiten und Kompromisse finden. So war der Ausbau der Grosswasserkraft in der Schweiz jahrelang blockiert, bis sich Energiekonzerne und Umweltverbände an einem runden Tisch auf 15 Schlüsselprojekte der Grosswasserkraft einigen konnten.
Diese Projekte sind für die sichere Stromversorgung der Schweiz in den kritischen Wintermonaten unverzichtbar und sollten nun zügig umgesetzt werden. Stattdessen werden jetzt einzelne Projekte erneut durch Einsprachen verzögert. Ich appelliere an die Verfasser dieser Einsprachen, die gutschweizerische Tradition der Kompromissfindung zu respektieren.
Sorge bereitet mir auch der wachsende Widerstand vor Ort bei Projekten, sei das bei Windenergie, grossen Photovoltaikanlagen, Biomasseanlagen oder auch im Netzausbau. Die Bevölkerung ist zwar im Grundsatz mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien einverstanden. Immer wenn man aber persönlich auf irgendeine Weise betroffen ist, wehrt man sich mit allen Mitteln und Kräften. Dieser Nimby-Effekt (engl.: «not in my backyard», deutsch sinngemäss: «nicht in meinem Garten») ist bei vielen Projekten enorm hinderlich.
Sind auf politischer Ebene weitere Schritte geplant, um erneuerbare Energien voranzutreiben?
Heute dauert es bis zu 20 Jahre, bis eine neue Windenergieanlage gebaut werden kann. Das Parlament arbeitet deshalb an einer Beschleunigungsvorlage mit dem Ziel, die Verfahren für die Planung und den Bau von Anlagen für erneuerbare Energien deutlich zu verkürzen.
Eine ähnliche Herausforderung stellt sich uns bei den Verteilnetzen. In Zukunft wird der Strom nicht mehr nur von zentralen Kraftwerken zu den Endverbrauchern fliessen, sondern zunehmend auch von der Kleinanlagenbesitzerin zum Nachbarn.
Weil immer mehr Solaranlagen ihren Strom dezentral ins Netz einspeisen, muss das Verteilnetz an einigen Stellen verstärkt werden. Auch diese Bewilligungsverfahren dauern heute viel zu lange, weshalb der Bundesrat auch in diesem Bereich eine Beschleunigungsvorlage erarbeitet.
Was braucht es politisch, damit die Schweiz energetisch gut in Europa eingebettet ist?
Die politische Einigung über ein Stromabkommen im Rahmen der anstehenden Verhandlungen mit der EU ist für die Schweiz zentral.
Unser Stromnetz ist über 41 grenzüberschreitende Leitungen mit dem kontinentaleuropäischen Netz verbunden. Dies hat zur Folge, dass ohne ein Stromabkommen mit der EU die Netzstabilität in der Schweiz mittelfristig gefährdet wäre. Auch die Import- und Exportfähigkeit wäre in-frage gestellt und die Stromversorgung würde ohne Stromabkommen deutlich teurer.
Zur Person [IMG 3]
Priska Wismer-Felder (53) ist eine Luzerner Politikerin. Sie sitzt seit 2019 für Die Mitte im Nationalrat. Die Bäuerin befasst sich unter anderem intensiv mit der Energiepolitik und ist Co-Präsidentin von AEE Suisse (Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz).