Kurz & bündig
- Familie Sprecher bewirtschaftet einen Betrieb mit Mutterkuhhaltung. Das Besondere: Die Bio Natura-Beef und Kühe werden auf dem Betrieb geschlachtet und verarbeitet.
- Möglich ist das dank Peter Sprechers Ausbildung zum Metzger sowie der Mithilfe von Familie und Bekannten.
- Den Tieren und Menschen wird so eine Stunde Fahrzeit zum nächsten Schlachthof erspart.
- Sprechers verkaufen das Fleisch an Private und Restaurants.

Das Natura-Beef ist bereits fixiert. Bei der Ankunft des Besuchers stellt es die Ohren und wird unruhig. Kein Wunder bei all diesen Menschen: Auf dem Platz sind Peter Sprecher und Andreas Trepp, die heute zwei Tiere schlachten werden; Ali Akman, Amtstierarzt des Kantons Graubünden, der den Ablauf mitverfolgen wird – und schliesslich der Fotograf und die Journalistin.

Heute ist Schlachttag auf dem Hof Sonnenrüti. Im Winterhalbjahr metzgen Sprechers einmal in der Woche. Heute sollen das fixierte Natura-Beef sowie ein Tier des Nachbarn geschlachtet werden.

«Der Schlachtraum war der logische nächste Schritt»

Sprecher ist gelernter Landwirt und Metzger. Zusammen mit seiner Familie führt er einen landwirtschaftlichen Biobetrieb an der Strasse zwischen Arosa und Langwies GR. Hauptbetriebszweig ist die Mutterkuhhaltung.

Zweiter wichtiger Zweig – der natürlich stark mit der Tierhaltung verbunden ist – ist die Hofmetzgerei. Im neu gebauten Schlachtlokal werden die Bio Natura-Beef und die Kühe geschlachtet. Das Ausbeinen, Zuschneiden, Lagern und Abpacken wird im bereits länger bestehenden Verarbeitungsraum durchgeführt. «Wir verarbeiten das Fleisch unserer Tiere seit 1994 selbst. Der Schlachtraum war der logische nächste Schritt», sagt Kathrin Sprecher, ihr Mann Peter nickt zustimmend.

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Unterstützt wird das Ehepaar von ihrer Tochter Priska Sprecher und von Andreas Trepp. Sie ist verantwortlich für die Kühe und Kälber im Stall. Ausserdem arbeitet sie während der Metzg-Saison im Winterhalbjahr fünf Tage pro Woche im Verarbeitungsraum. Er ist Koch, Metzger und Landwirt aus einem Dorf etwas weiter unten im Schanfigger Tal.

Betriebsspiegel Sonnenrüti
Kathrin und Peter Sprecher, Langwies GR, auf 1450 m ü. M.

LN: 60 ha
Kulturen: Naturwiesen und Weiden
Tierbestand: 27 Mutterkühe mit ihren Kälbern
Weitere Betriebszweige: Hof-metzgerei, Direktvermarktung
Arbeitskräfte: Priska, Kathrin und Peter Sprecher, Metzger Andreas Trepp (20 %), Aushilfsmetzger im Stundenlohn, pensionierter Nachbar für die morgendliche Stallarbeit

www.hofmetzgerei-sonnenrueti.ch

Eine Stunde Fahrt zum nächsten Schlachthof

Abo Familie Duperrex verkauft im Hofladen seit Jahren Fleisch von den Stöckweid-Tieren. Direktvermarktung Hohe Hürden für Hofmetzgereien Monday, 5. September 2022 Im Oktober 2021 wurde der neue Schlachtraum eingeweiht. 300'000 Franken haben Sprechers in die Infrastruktur investiert (siehe auch Beitrag der «grünen»: Hohe Hürden für Hofmetzgereien). Doch weshalb entschied sich die Familie für eine solche Investition?

Im ganzen Tal gibt es kein einziges Schlachtlokal mehr, weshalb Sprechers heute ihre Tiere selbst schlachten: Zum nächstgelegenen Schlachthof müssten Sprechers eine Stunde fahren, in der das Tier im Anhänger mitfahren muss. Hin und zurück zwei Stunden Aufwand für Sprechers.

Seit 2020 ist die Tötung des Nutztiers auf dem Hof erlaubt. Doch diese Alternative kam bei Sprechers nicht infrage, da nach dem Entbluten der Schlachtkörper innert 45 Minuten im Schlachthaus sein muss.

Stressfrei schlachten – für das Tierwohl und die Fleischqualität

«Unsere Kundschaft ist nicht nur betreffend Qualität anspruchsvoll, sondern auch in Bezug auf das Tierwohl und die Ökologie», erklärt Peter Sprecher. Die Investition lohne sich langfristig auf jeden Fall. In erster Linie habe er sich aber für die Schlachtung auf dem eigenen Hof entschieden, weil er das Metzgerhandwerk gerne ausübe. Dazu gehöre auch das Schlachten, sagt Sprecher.

Zurück zum heutigen Tagwerk und damit zurück zum unruhigen Beef. Kurzfristig entscheidet Peter Sprecher, dass er ein anderes Beef holen werde. Das wäre zwar erst nächste oder übernächste Woche an der Reihe gewesen. Aber ein entspanntes Tier ist ihm wichtig – aus Tierwohlgründen und weil die Fleischqualität hinterher besser sei, erklärt er.

Priska Sprecher druckt die neuen Begleitdokumente aus und Ali Akman gibt nach kurzer Kontrolle von Tier und Dokumenten das OK zur Schlachtung. Als das Ersatztier parat steht, geht es schnell. Sprecher setzt ihm das Bolzenschussgerät an die Stirn, drückt ab und das Tier bricht bewusstlos zusammen.

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Andreas Trepp bedient den elektrischen Seilzug und der Widerhaken wird am Bein des Beefs befestigt und das Tier damit in die Höhe gezogen. Mit dem Schnitt durch die Halsschlagader wird das Tier entblutet, das Blut wird im bereitgestellten Behälter aufgefangen.

Ali Akman beobachtet die Vorgänge genau. Bei jeder Hoftötung muss ein Amtstierarzt vor Ort sein. Er macht die Schlachttieruntersuchung und anschliessend die Fleischschau. Akman kontrolliert das Begleitdokument. Und er überprüft die Seuchenfreiheit des Betriebs. «Ich garantiere, dass das Tier gesund ist», erklärt Akman. Bei der Betäubung und der Entblutung hat er nichts zu bemängeln.

Das Metzgen als Ausgleich zur Landwirtschaft

Schliesslich wird das entblutete Tier weiter hochgezogen, bis es einen Stock höher in den Schlachtraum geschoben werden kann. Dem Beef wird nun die Haut abgezogen. Peter Sprecher und Andreas Trepp arbeiten ruhig, sprechen nicht viel miteinander, wissen genau, wer welche Aufgaben übernimmt. «Ich bin Linkshänder und Andi ist Rechtshänder. Das ist perfekt, so kann jeder die Tierseite bearbeiten, die ihm besser von der Hand geht», sagt Sprecher und schmunzelt.

Das Metzgen ist ein Handwerk, das die beiden mit Routine, Ruhe und Präzision ausführen. Es ist ein Handwerk, das heute nicht mehr viele lernen, sagt Peter Sprecher: «Andi ist für uns in dieser Weise wie ein Sechser im Lotto. Er kennt alle Verarbeitungsschritte.»

«Weshalb sollten die Jungen heute überhaupt noch Metzger lernen? Damit sie anschliessend in einem Industriebetrieb bloss einzelne Handgriffe anwenden?» Es ist vielmehr eine Feststellung als eine Frage, die Sprecher in den Raum stellt.

Für ihn selbst wäre das grosse Schlachtlokal auf jeden Fall nichts. Er schätze es, das Metzgen als Ausgleich zur Landwirtschaft zu haben. Aber nur im Schlachtraum stehen, das möchte er nicht.

Produktionszahlen der Hofmetzgerei
Peter Sprecher metzget nur im Winterhalbjahr. Im Sommer ist seine Familie am Heuen, die Mutterkühe und ihre Kälber sind auf der Alp. Sprecher schlachtet in diesem halben Jahr 30 seiner eigenen Tiere. Hinzu kommen weitere rund 30 Rinder von Nachbarn aus dem Tal. Ausserdem schlachtet er 40 bis 50 Ziegen und Schafe und während der Jagdsaison zerlegt er die Wildtiere, welche die Jäger bei ihm vorbeibringen.

Sorgfältige Auswahl der Fleischrassen

Apropos Landwirtschaft: Ein paar Worte zu der Tierhaltung. Sprechers halten F1-Kühe der Rassen Braunvieh × Angus, Limousin oder Simmental und besamen diese Kreuzungstiere mit Blonde d’Aquitaine oder Piemontese. Die F1-Kühe sollen die Kälber mit ausreichend Milch versorgen.

Dank der Feinfaserigkeit der Rassen Blonde d’Aquitaine und Piemontese sei das Fleisch auch ohne Oberflächenfett zart und geschmackvoll. Und der feine Knochenbau sorge für eine hohe Fleischausbeute, erklärt Peter Sprecher: «Für einen guten Fleischgeschmack ist die Fütterung (wenig Silo) und die Lagerung (in Fleischreifeboxen) unseres Erachtens wichtiger als die Fettabdeckung.»

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Amtstierarzt bestätigt: Dieses Fleisch ist genusstauglich

Mittlerweile ist die Haut vom Fleisch abgezogen, mit einem Geräusch, als würde man ein Pflaster abreissen. Nun werden die Gedärme entnommen. Ali Akman kontrolliert die Innereien – «der Darm ist glänzend und hat keine Geschwüre», «in der Lunge gibt es keine käsigen Knötchen, also hatte das Tier keine Tuberkulose», «die Herzklappen sind nicht entzündet». Auch hier ist also alles in Ordnung.

Der ausgenommene Schlachtkörper wird unter hässlichem Gekreische der Säge halbiert und anschliessend gewogen – 196 kg zeigt die Waage an. Auf Schienen an der Decke, am Haken hängend, werden die beiden Schlachthälften in den Kühlraum gefahren. Dort drinnen versieht Ali Akman jede Hälfte mit dem amtlichen Stempel, der bestätigt: Dieses Fleisch ist genusstauglich. Damit ist die Arbeit des Amtstierarzts erledigt und er verabschiedet sich.

Der ganze Prozess und die Wertschöpfung auf dem Hof

Eine Hofmetzgerei ist eher eine Seltenheit (siehe Kasten). Mit seinem Know-how erfüllte Peter Sprecher die Voraussetzungen dafür, den ganzen Prozess auf dem Hof zu behalten – und damit auch die Wertschöpfung.

Diese Wertschöpfung ist mit Arbeitsaufwand verbunden. Im Verarbeitungsraum wird fünf Tage in der Woche gearbeitet. Meist sind Priska, Kathrin und Peter Sprecher zu zweit oder zu dritt daran, die Schlachthälften zu zerlegen, das Fleisch abzupacken, Bestellungen bereitzustellen, auszuliefern und Würste zu produzieren. Im Trocknungsraum müssen sie den Reifeprozess von Rohwürsten und Trockenfleisch täglich überwachen.

Schlachtbetriebe in der Schweiz
Hofmetzgereien sind in der Schweiz Einzelfälle. Zum einen braucht es Know-how auf zwei Berufen – dem der Landwirtin und dem des Metzgers. Zum anderen sind die Hygieneanforderungen hoch.

Sprechers Hofmetzgerei unterliegt unter anderem den Auflagen der Verordnung über das Schlachten und die Fleischkontrolle (VSFK). Darin enthalten ist seit dem 1. Juli 2020 auch ein Kapitel über die Hof- und Weidetötung. Seither ist die Tötung der Tiere auf dem landwirtschaftlichen Betrieb erlaubt.

2021 wurden in der Schweiz rund 600'000 Tiere der Rindergattung geschlachtet. Das geschah in einem von rund 650 bewilligten Schlachtbetrieben, wobei die Mehrheit der Tiere in den 20 grössten Betrieben geschlachtet wurden.

Die Anzahl Schlachtbetriebe in der Schweiz sinkt laufend. Heute gibt es grob geschätzt einen Schlachtbetrieb auf 63 Quadratkilometer.

Artikel in der «BauernZeitung» zur Schliessung von Schlachthöfen: Schlachthäuser: «Das Berner Schicksal vor Zürichs Toren»

Zunge oder Kinnbacken: Möglichst viel wird verwertet

So genau zählten sie diese Arbeitsstunden nicht, sagt Peter Sprecher. Es lohnt sich aber durchaus: Dank des Wissens der ganzen Familie können externe Kosten gespart werden und das Fleisch wird direkt an Privatpersonen sowie an interessierte Gastrobetriebe in Arosa verkauft. Mit diesen besteht eine langjährige gute Zusammenarbeit, erzählen Sprechers.

Dabei geht es nicht nur um die Filets und Entrecôtes, erklärt Peter Sprecher: Auch die Kinnbacken («eine Delikatesse»), die Zunge, der Schwanz («Ochsenschwanzsuppe ist in den Restaurants beliebt») und die Niere («Köche braten gerne mit Nierenfett an») sind gefragt.

Sprechers können so mit einem Tier mehr Wertschöpfung erzielen und verwerten zugleich einen Grossteil des Schlachtkörpers. Aus den älteren Tieren entstehen Rohwürste und Trockenfleischspezialitäten, mit denen ein Mehrwert generiert wird.

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Den ganzen Morgen über waren Priska und Kathrin Sprecher schon im Verarbeitungsraum und produzierten Bratwürste und Hamburger. Nach dem Schlachten gesellen sich Peter und Andreas dazu. Priska lässt Rindfleisch und Schweinespeck für Salsiz durch den Fleischwolf. Anschliessend heben Kathrin und Peter gemeinsam die schwere Kiste und kippen das Fleisch in die riesige Knetmaschine. Hinzu kommen Rotwein, Salz, Pfeffer und Koriander und dann wird die Masse gemischt.

Wenn es um die Wurst geht, wird er zum Perfektionist

«Ich bin oft ein Chaot. Aber jetzt muss ich mich konzentrieren», sagt Peter Sprecher und grinst verschmitzt. Gemischt werden hier nämlich 100 kg Fleisch. Daraus wird es 550 Salsiz geben, eine Bündner Spezialität. «Wenn ich einen Fehler mache, arbeite ich die nächsten zwei Wochen gratis», sagt Sprecher.

Es geht zum Glück alles gut und schon bald ist die Fleischmasse bereit. Geschickt schiebt Priska Sprecher einen Rindsdarm über die Ausgangsöffnung des Wurstfüllers und beginnt dann, die Fleischmasse portionenweise in den weissen, elastischen Schlauch zu füllen. Ihr Vater nimmt die Würste und verschliesst die Därme mit der Clipmaschine. «Wursten ist Teamarbeit», sind sich Priska, Kathrin und Peter Sprecher einig.

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Das offene Fenster ersetzt den Computer

Die fertigen Würste hängt Peter Sprecher in den Trocknungsraum, wo sie drei Wochen an der Luft trocknen werden, um zum würzigen Salsiz heranzureifen. Wichtig sei, dass die Luftfeuchtigkeit im Raum um die 70 % bleibt und nicht tiefer liegt. Andernfalls trocknet die Wurst aussen zu schnell und bleibt innen weich, erklärt Sprecher. «Grössere Metzgereien haben Computer-gesteuerte Anlagen, um das Raumklima zu kontrollieren. Wir öffnen oder schliessen das Fenster», erzählt er und schmunzelt.

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Bei Sprechers kommen alte Rezepte, viel Handarbeit und ein neuer Schlachtraum zusammen. In der Summe ergibt das eine Vielzahl an Fleischprodukten, die von der Familie sorgfältig zubereitet werden: Vom lebenden Tier am Anfang bis zum Plätzli oder Salsiz am Ende.