Kurz & bündig

- Kälber, die ab Geburt in Paar- oder Gruppenhaltung aufwachsen, zeigen höhere Tageszunahmen, haben ein höheres Absetzgewicht und fressen mehr Kraftfutter.
- Neben diesen wichtigen Grundlagen für eine gute Entwicklung hin zur Milchkuh entspricht die soziale Haltung auch der Natur der Kälber als Herdentiere.
- Für Betriebe, die ihre Kälber nicht mehr isoliert halten wollen, gilt es einiges zu beachten. Ein solides Gesundheitsmanagement der Kälber hat oberste Priorität.

In der Schweiz ist die Gruppenhaltung von Kälbern ab dem 14. Lebenstag Pflicht. Mittlerweile konnte jedoch in zahlreichen Studien gezeigt werden, dass es für Kälber, gerade vor dem Hintergrund ihrer Natur als Herdentier, viele Vorteile hat, sie von Beginn an gemeinsam mit Artgenossen zu halten. Die Studienlage zeigt, dass der frühe Sozialkontakt für Kälber auf physiologischer Ebene förderlich ist.

Kälber, die früh in der Gruppe gehalten werden, entwickeln sich anders als Kälber, die ihr Leben in isolierter Haltung beginnen. Die durchschnittliche Tageszunahme wie auch das Absetzgewicht von Kälbern in Gruppenhaltung sind höher. Sowohl vor als auch nach dem Absetzen fressen Kälber in sozialer Haltung mehr Kraftfutter, was für die Pansenentwicklung von grosser Bedeutung ist. Doch was ist bei der frühen Gruppenhaltung von Kälbern zu beachten und ist diese Anpassung in der Kälberhaltung für jeden Betrieb geeignet?

Kälber aus Schwergeburten sind anfälliger für Erkrankungen

«Kälberhaltung ist eine Faktorengeschichte», sagt Beat Berchtold, Tierarzt und Inhaber der Tierärztlichen Bestandesbetreuung TBB-Rind in Bargen BE, und ordnet ein: «Zuerst müssen die betriebsindividuellen Stärken und Schwächen rund ums Abkalben und die Kälber erhoben werden, danach kann man gezielt beraten.»

Eine erste Grundlage für ein Kalb, das sozial gehalten werden soll, ist eine leichte Geburt. «Eine vernünftige Haltung der Galtkühe, eine passende Genetik sowie eine gute Hygiene in der Abkalbebox sind Voraussetzungen für leichte und saubere Geburten», erklärt Berchtold. 

In vielen Fällen seien Kälber aus Schwergeburten anfälliger für Erkrankungen. Wichtig bei Schwergeburten sei daher primär eine intensive Überwachung und Betreuung des Kalbes durch den Tierhalter. «Unter Umständen ist dies in Einzelhaltung besser zu gewährleisten – es ermöglicht dem Kalb auch mehr Ruhe. Dies gilt jedoch primär für die Zeit, in der der Allgemeinzustand des Kalbes reduziert ist. Danach kann es genau gleich in die Gruppenhaltung gehen», so der Tierarzt.

Kolostrumqualität und Tränkemengen kontrollieren

Der Grund, Kälber zum Beginn ihres Lebens per se einzeln zu halten, ist die anfängliche Immunitätslücke der Tiere und die damit verbundene erhöhte Krankheitsanfälligkeit. Ob nun Einzel- oder Gruppenhaltung: in beiden Systemen ist eine ausreichende Kolostrumgabe von hervorragender Qualität unabdingbar und sehr wichtig für eine erfolgreiche und gesunde Kälberaufzucht.

Massgeblich in diesem Zusammenhang ist der sogenannte Brix-Serum-Wert, der die Immunglobulin-G-Konzentration im Blut und damit die Qualität der Immunabwehr beschreibt. Dieser sollte über 8,1 Prozent liegen. Um dies zu gewährleisten, sollte die erste Kolostrumgabe mittels einer Tränkeflasche mit Nuckel innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt stattfinden. Werden die Kälber gedrencht, kann sich dies durch die entstehende Halsreizung negativ auf die Wasseraufnahme auswirken.

Auch in den Wochen nach der Geburt sind hohe Tränkemengen für eine positive Entwicklung der Kälber ausschlaggebend, weil sie das Risiko für Erkrankungen reduzieren. «Milch ad libitum oder semi-ad libitum anzubieten, ist sinnvoll, auch um das Saugbedürfnis zu befriedigen. Dabei ist auf einen hohen Nuckelwiderstand zu achten und es sollte ein Nuggi mehr als Kälber vorhanden sein», sagt der Tierarzt.

Vor diesem Hintergrund kann die Anschaffung eines Tränkeautomaten für die Kälbergruppe sinnvoll sein. Dieser hält 24/7 temperierte Milch bereit und die Kälber müssen aktiv daran saugen.

Kälber trinken am Automaten früh viel Milch

Erfahrungen zeigen, dass die Tiere schnell lernen, den Automaten zu bedienen, und bereits früh hohe Mengen an Milch trinken. Auch Beat Berchtold bestätigt, dass Kälber generell sehr neugierig und lernfähig seien. Sie müssen jedoch immer, unabhängig des Systems, durch die Tierhalter angelernt werden.

«Ad-libitum-Tränken sind in Sachen Körperkondition und Resilienz grundsätzlich als positiv zu betrachten. Ein Tränkeautomat hat unter Umständen den Vorteil, das Kalb individuell zu erkennen und somit seine Tränkemenge und -frequenz zu dokumentieren beziehungsweise zu steuern. Dies geschieht via Transponder am Halsband. Es ist aber auch möglich, Kälber in Gruppen ohne Automaten zu tränken, hier ist jedoch die Beobachtung der Kälber durch den Tierhalter besonders wichtig und sicher generell eine grössere Herausforderung», berichtet Berchtold weiter.

Auch die Versorgung mit Mineralstoffen und Spurenelementen wie Selen, Eisen und Vitaminen muss gewährleistet werden. Zudem trägt eine durchdachte Impfstrategie, zum Beispiel gegen Rindergrippe, Flechten und Durchfallerreger, zur Abwehr bei.

In einer Studie, die den Effekt unterschiedlicher Tränkemengen untersuchte, zeigte sich, dass sich die Fütterung von 8 Litern pro Tag zwar positiv auf das Verhalten der Kälber, nicht aber auf die Tageszunahmen auswirkte. Wurden hingegen 10 oder 12 Liter pro Tag vertränkt, konnten deutlich höhere Tageszunahmen gemessen werden.

Von Anfang an Heu und Festfutter anbieten

Ein weiterer wichtiger Baustein ist es, den Kälbern von Anfang an Festfutter in Form von Heu als auch Kraftfutter anzubieten. Dies hat zwei Vorteile: Wenn Kälbern sowohl Heu als auch Kraftfutter zur Verfügung steht, zeigen diese höhere Futteraufnahmen sowie höhere Tageszunahmen. Zum anderen regt Heu das Kauverhalten von Kälbern an und reduziert das Risiko des gegenseitigen Besaugens.

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Erst das Festfutter stimuliert die Fermentation der Nährstoffe im Pansen. Das Wachstum der Pansenzotten wird angeregt, der Pansen wird grösser und entwickelt sich zum Hauptverdauungsort. Damit sind der Beginn und die Menge der Futteraufnahme entscheidend für ein erfolgreiches Absetzen und ein besseres Wachstum in den ersten Monaten.

In diesem Zusammenhang sollte auch ab dem ersten Lebenstag frei zugängliches Wasser zur Verfügung gestellt werden. Das Wasser gelangt, im Unterschied zur Milch, direkt in den Pansen, wodurch dessen Besiedlung mit Mikroorganismen und gleichzeitig die Verdauung von Raufutter gefördert wird.

Genügend Wärme zur Abwehr von Krankheiten

Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor für die frühe Paar- und Gruppenhaltung ist die Qualität und Dicke der Einstreu. Diese Schicht bildet die Barriere zwischen dem Kalb und den Erregern in seiner Umwelt. Wenn konsequent nachgestreut wird, schützt dies die jungen Tiere wirkungsvoll vor Krankheiten.

«Mit ausreichendem Nesting-Score haben die Kälber die Möglichkeit, ein gutes Mikroklima zu bilden», sagt Beat Berchtold. Ein Nesting-Score ist die Einheit, mittels der man bewertet, wie tief Kälbern eingestreut sind. Wenn dieser Wert hoch ist (z. B. bei 3), dann hat das Kalb viel Stroh zur Verfügung. Es liegt wirklich im und nicht nur auf dem Stroh und kann sich deshalb gut «einnesten». [IMG 2]

«Eine Gruppengrösse von acht Kälbern ist ideal.»

Beat Berchtold, Tierarzt

Wärme ist zur Abwehr von Krankheiten essenziell. Auch ein Kälbermantel kann in kälteren Monaten von Vorteil sein. Generell sollten die Kälber in geeigneter klimatischer Lage mit Frischluft ohne Zug gehalten werden, so der Tierarzt.

Ein Aspekt, der in der frühen Gruppenhaltung ebenfalls nicht ausser Acht gelassen werden darf, ist das gegenseitige Besaugen der Kälber. In der Natur saugen Kälber etwa 4- bis 10-mal täglich für etwa 7 bis 10 Minuten bei ihrer Mutter. Entwöhnt werden sie im Alter von 10 Monaten.

In der modernen Milchviehhaltung findet dieser Prozess deutlich früher statt. Die Kälber haben demnach unabhängig von ihrer Haltungsform zu jeder Wachzeit ein stärkeres oder weniger starkes Saugbedürfnis. Dieses versuchen sie nicht selten an ihren Artgenossen zu stillen. Besonders angeregt wird das Saugverhalten, sobald die Milchmahlzeit beginnt und die Laktose im Dünndarm verdaut wird. Die Menge der verdauten Laktose steht dabei in direktem Zusammenhang mit dem Sättigungsgefühl der Kälber – und wirkt sich damit auch auf das gegenseitige Besaugen aus.

Gegenseitiges Besaugen durch hohe Milchmengen vorbeugen

Durch die Fütterung hoher Milchmengen von 10 bis 12 Litern pro Tag kann also nicht nur, wie oben erwähnt, Krankheiten vorgebeugt, sondern auch gegenseitiges Besaugen reduziert werden. «Ebenfalls hilfreich vor diesem Hintergrund ist das Angebot von Beschäftigungsmaterialien wie Heunetzen oder Ästen oder Kälberspielzeug», rät Berchtold. Grundsätzlich vorteilhaft für eine Gruppenhaltung sei eine Gruppengrösse um die acht Kälber in ähnlichem Alter. Die Altersdifferenz sollte nicht über 30 Tagen, die Gewichtsdifferenz nicht über 40 kg liegen, so der Tierarzt.

Die frühe Haltung von Kälbern in der Gruppe oder als Paar erfordert ein gutes betriebliches Management auf mehreren Ebenen. Ist das System allerdings etabliert, reichen die Vorteile jedoch weiter als das Wohlergehen des Kalbes und dessen Entwicklung zur Milchkuh. Auch auf die Arbeitseffizienz und die Wahrnehmung bei den Konsumenten hat die Entscheidung gegen eine Einzelhaltung positive Auswirkungen.

Link zu Quellen und Studien