Kurz & bündig

- Kälber haben ein starkes Saugbedürfnis, welches sie in der Kälberhaltung ohne Muttertier oder Amme nicht befriedigen können.
- Demzufolge beginnen Kälber oft, Artgenossen zu besaugen – eine Verhaltensstörung mit negativen Konsequenzen.
- Beschäftigungsmaterial stimuliert natürliche Verhaltensbedürfnisse, kann unerwünschtes Verhalten reduzieren und so das Tierwohl erhöhen.
- Die effektivste Methode, das Saugbedürfnis zu stillen, ist die Aufzucht mit einer Kuh.

Bocksprünge, ruckartige Drehungen, schnell rennen, abrupt abstoppen – all diese Verhaltensweisen kann man beobachten, wenn Kälber allein oder miteinander spielen. Aber auch das soziale Spiel mit Artgenossen oder das objektbezogene Spiel gehört zum normalen Verhaltensrepertoire vieler junger Säugetiere.

«Spielverhalten hat mehrere Funktionen», erklärt Dr. Sébastien Goumon, Ethologe bei der Gruppe Tierphysiologie der ETH Zürich. «Studien zeigen, dass Spiel zu positiven Emotionen führen kann, es dient aber auch dazu, die Bewegungsreaktionen zu erhöhen und zum Beispiel schnell wieder aufzustehen, sobald man umfällt oder aus dem Gleichgewicht gerät. Spielen schult das Gehirn auch auf emotionaler Ebene darin, mit unerwartet stressigen Situationen umzugehen», so Goumon.

Sind die Haltungsbedingungen schlecht, zeigen Jungtiere oft weniger Spielverhalten. Verschiedene Studien zeigen, dass Spielverhalten bei Kälbern etwa durch die Gabe von frischem Stroh als Einstreumaterial ausgelöst wird. Werden Kälber von einer kleinen Box auf eine grössere Fläche umgestallt, kann die Platzvergrösserung ebenfalls Spielverhalten auslösen. Auch Beschäftigungsmaterial und Spielzeug sollen Kälber dazu anregen, mehr Spielverhalten zu zeigen.

Spielmaterial befriedigt Grundbedürfnisse und macht zufrieden

Verschiedene Beschäftigungsmaterialien können gemäss der aktuellen Studienlage natürliche Verhaltensbedürfnisse befriedigen und unerwünschte Verhaltensweisen reduzieren. Für das Tierwohl ist dies auf unterschiedliche Weise zuträglich: Zum einen soll Beschäftigungsmaterial Grundbedürfnisse befriedigen.

Zum anderen soll die Beschäftigung mit Spielzeugen bei den Tieren positive Gefühlszustände auslösen. Ebenfalls dient die Auseinandersetzung mit Beschäftigungsmaterial dazu, das Verhaltensrepertoire zu vergrössern, was wiederum zu einer Verbesserung der Resilienz führt. «Resilienz bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Kälber in ihrem Verhalten flexibler sind – also mehr Verhaltensmechanismen erlernt haben – und so besser mit Herausforderungen ihrer Haltungsumwelt umgehen können», erklärt Goumon.

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Sorgfältig auswählen und Gewöhnung vermeiden

«Studien zeigen, dass es bei der Auswahl von Beschäftigungsmaterialien für Kälber wichtig ist, dass mehrere Kälber sie benutzen können. Ist das Spielzeug nur für jeweils ein Kalb verfügbar, kann es zur Konkurrenzsituation kommen. Besser ist es, wenn mehrere Tiere gleichzeitig davon profitieren können», rät Sébastien Goumon.

Eine Schwierigkeit, die mit der Bereitstellung von Spielzeug einhergeht, ist die Gewöhnung. «Die Art des Beschäftigungsmaterials auszuwechseln oder den bekannten Nuckel gegen einen gesäuberten anderen auszutauschen, kann dem Gewöhnungseffekt entgegenwirken und das Interesse der Kälber daran länger wecken», rät Sébastien Goumon.

«In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Kälber sich mit an der Stallwand befestigten Nuckeln zwar ein paar Tage lang beschäftigen, die Nuckel danach aber schnell wieder langweilig werden und die Kälber sich stattdessen wieder vermehrt gegenseitig besaugen», erzählt Dr. Anet Spengler Neff, Co-Leiterin des Departements für Nutztierwissenschaften am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL).

Beschäftigungsmaterial kann das Besaugen verringern

Anet Spengler Neff stellt klar: «Die Bereitstellung von Beschäftigungsmaterial und Spielzeugen bei Kälbern dient auch dazu, das Besaugen von Artgenossen zu verringern. Es handelt sich dabei um eine Verhaltensstörung, die sich entwickelt, weil die Kälber ihr Saugbedürfnis nicht am Euter der Mutter oder dem einer Ammenkuh stillen können.»

Diese Verhaltensstörung kann bei den Kälbern, die von Artgenossen am Euter besaugt wurden, zu einer höheren Mastitisneigung im späteren Lebensverlauf führen. Es konnte ebenfalls wissenschaftlich erwiesen werden, dass sich die Verhaltensstörung bei jenen Kälbern, die ihre Artgenossen besaugen, festigen kann und dann auch im adulten Lebensstadium weiter gezeigt wird. Wenn diese Tiere dann die Euter von Rindern besaugen, die noch keine Milch geben, oder von Kühen, die trockenstehen, erhöht dies ebenfalls das Mastitisrisiko.

Aus der Literatur weiss man zudem, dass Kälber nicht nur die Euter, sondern unter Umständen auch die Ohren von Artgenossen besaugen, was zu Nekrosen führen kann. «Das Problematischste ist aber sicher der Euterbereich», sagt Anet Spengler Neff.

Was wirklich hilft, ist eine Ammenkuh

Wenn Kälber heranwachsen, verbringen sie schon recht früh Zeit mit Verhaltensweisen, die mit Futter verknüpft sind. Einen Grossteil des Tages wird gefressen, wiedergekäut und verdaut. Daher ist die Bereitstellung von heugefüllten Bällen mit Löchern, aus denen die Kälber die Halme herausziehen können, gegebenenfalls sinnvoll.

«All diese Beschäftigungsmaterialien können helfen, das Besaugen von Artgenossen etwas zu verringern. Was schlussendlich aber wirklich hilft, ist die Bereitstellung einer Ammenkuh, an der mehrere Kälber Milch trinken können. Nur dadurch wird das Saugen als Grundbedürfnis von Kälbern befriedigt», erklärt Spengler Neff.

Gut ist, dass viele Kühe andere Kälber mehr oder weniger problemlos annehmen. Da komme es auch auf die Persönlichkeit der jeweiligen Kuh an. Oft werden Kühe als Amme hergenommen, die im Melkstand nicht gut Milch geben oder deren Zellzahl etwas erhöht ist. «Wenn ein solches Tier gerne Kälber hat, dann ist es eigentlich eine Win-win-Situation», so Spengler Neff.

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Ammenaufzucht nimmt zu und ist wirtschaftlich interessant

Die Aufzucht mit einer Amme ist eine Form von kuhgebundener Aufzucht, die auch wirtschaftlich interessant ist und aktuell auf mehr und mehr Betrieben praktiziert wird. Wenn LandwirtInnen Interesse daran haben, diese Aufzuchtform auf dem eigenen Betrieb zu integrieren, dann rät Anet Spengler Neff dazu, sich dies vorher bei Berufskollegen anzuschauen und Erfahrungen auszutauschen.

Ein Beschäftigungsmaterial, das gut angenommen wird und neben dem mechanischen Effekt, Juckreiz zu lindern, auch objektbezogenes Spiel auslösen kann, sind fest installierte Kratzbürsten. «Wenn keine Kuh da ist, die das Kalb ableckt, und auch kein Mensch, der das Kalb regelmässig bürstet, dann ist eine Kratzbürste schon notwendig», so Spengler Neff.

Es gebe auch etwas weichere Kratzteppiche, die man an der Stallwand oder an einem Pfosten befestigen kann. Diese werden von den Kälbern auch sehr gerne genutzt und sind durchaus sinnvoll. Die Kosten für die festen Kratzbürsten beziehungsweise Kratzteppiche sind überschaubar und der Nutzen für die Kälber ist gross.

Kommt eine Ammenkuh zum Einsatz, ist es allerdings oft so, dass diese andere Kälber zwar trinken lässt, aber nur ihr eigenes Kalb ableckt. In einem solchen Fall sollte also auf eine Kratzbürste nicht verzichtet werden, damit die Fremdkälber auch ihr Komfortverhalten ausleben können.

Kälberspielzeuge

Was ist sinnvoll?

Fest installierte Kratzbürsten: Hier können auch alte Waschbürsten upgecycelt werden.
An der Stallwand befestigte Nuckel: Immer mal wieder die Position zu wechseln, hilft, die Nuckel für die Kälber länger interessant zu halten.
Spieligel: Diese können aufgehängt und von mehreren Kälbern gleichzeitig besaugt werden.
Mit Heu gefüllte Bälle haben ebenfalls den Vorteil, dass sie durch regelmässiges Befüllen interessant bleiben und von mehreren Tieren zugleich genutzt werden können.