Kurz & bündig

- Anzeichen für Selenmangel bei Kälbern sind u.a. Muskelschwäche, Saufschwierigkeiten, plötzlicher Tod und ein steifer Gang.
- Bei Kühen kommt es vor allem zu Nachgeburtsverhaltung, Gebärmutterentzündung und Fruchtbarkeitsstörung.
- Die Verfügbarkeit in organischen Formen ist für Tiere höher.
- Kälber und Milchkühe brauchen 0,2 mg Se/kg TS, Galtkühe 0,3 mg Se/kg TS.

Nach einer Schwergeburt, bei der das Kalb bereits leblos zur Welt kam, erzählte der Landwirt der Tierärztin beiläufig, dass er in den letzten drei Monaten vier Kälber kurz nach der Geburt verloren hatte. Die Fälle reichten von Totgeburten über ein schwaches Kalb, das nie getrunken hat und innerhalb von 24 Stunden verstarb, bis hin zu einem Kalb, das direkt nach dem ersten Atemzug starb. 

Er hatte sich bisher nicht an die Praxis gewendet – seiner Ansicht nach handelte es sich nicht um Aborte und die Fälle erschienen ihm zu unterschiedlich, um eine Gemeinsamkeit zu vermuten. «Wahrscheinlich einfach Pech», sagte er.

Doch wie oft begegnen TierärztInnen solchen Situationen, bei denen «Pech» vielleicht in Wahrheit ein vermeidbares Problem kaschiert?

Gerade bei einer Erhöhung der Kälbersterblichkeit um die Geburt lohnt sich eine systematische Ursachenabklärung. Einer der häufigsten Gründe ist ein Mangel an lebenswichtigen Spurenelementen, allen voran Selen.

Selen ist ein essenzielles Spurenelement für die Rindergesundheit

Selen ist entscheidend für zahlreiche physiologische Funktionen bei Rindern. Besonders in der Schweiz, wo viele Böden (vor allem in Voralpen- und Alpensystemen) von Natur aus selenarm sind, kann es bei gras- und heuorientierter Fütterung rasch zu einer Unterversorgung kommen.

Selen spielt auf verschiedenen Ebenen eine wichtige Rolle:

Antioxidativer Zellschutz: Selen ist Bestandteil der Glutathionperoxidase, eines Schlüsselenzyms, das die Zellen vor oxidativen Schäden schützt und zum Schutz der Zellmembranen beiträgt, insbesondere in den Muskeln und roten Blutkörperchen.

Immunfunktion: Selen stärkt die Abwehr insbesondere durch die Verbesserung der Phagozytose und der Antikörperproduktion; ein Mangel kann zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen führen, beispielsweise der Atemwege und des Verdauungstrakts.

Reproduktion: Selen fördert die Fruchtbarkeit bei Kühen, die Spermienqualität bei Stieren und senkt das Risiko für Nachgeburtsstörungen und Gebärmutterentzündungen.

Muskelentwicklung: Bei jungen Kälbern beugt Selen der Weissmuskelkrankheit vor, einer schweren degenerativen Muskelschwäche.

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Selen in der Fütterung: Versorgung und Bedarf

Eine von der HAFL (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften) durchgeführte Studie hat gezeigt, dass Schweizer Futtermittel oft unzureichende Mengen an Selen enthalten.

Grasfutter enthält je nach Region zwischen 0,03 und 0,07 mg Selen/kg Trockensubstanz (TS). Maissilage liegt dagegen im gesamten Gebiet unter 0,01 mg/kg TS. Eine angemessene Ergänzung ist daher in jedem Fall erforderlich.

Die Bedarfswerte: Der Bedarf eines Kalbes und einer laktierenden Kuh liegt bei 0,2 mg Selen/kg TS, der Bedarf einer Galtkuh bei 0,3 mg/kg TS, da sie auch den Bedarf des Fötus decken muss.

Es ist wichtig zu wissen, dass der Unterschied zwischen dem lebenswichtigen Bedarf der Tiere und der Toxizitätsschwelle (ab 0,5 mg/kg TS) sehr gering ist. Der Selengehalt von Mineralstoffzusätzen variiert im Allgemeinen zwischen 30 und 50 mg/kg (je nach Produkt und Lieferant). In diesen Fällen kann der Bedarf einer laktierenden Kuh durch die Verabreichung von 100 g Mineral/Tiernahrung gedeckt werden.

Die Formen des Selens: Abgesehen davon, dass Selen in Form von Boli (Depot oder Flash), Injektionen (in Kombination mit Vitamin E) oder Mineralstoffzusätzen verabreicht werden kann, ist es wichtig, die Quelle des verabreichten Selens zu kennen.

In organischer Form (L-Selenomethionin [SeMet], Selenocysteine oder selenierte Hefen) wird Selen nicht von der Pansenflora verstoffwechselt, sondern vom Organismus des Rindes leicht aufgenommen und direkt zur Bildung von tierischen Proteinen verwendet. Diese Bildung von Reserven ermöglicht es dem Tier, bei einer kurzzeitigen Unterversorgung nicht sofort einen Mangel zu erleiden.

Anorganische Formen (z. B. Natriumselenit) werden von Rindern viel schlechter aufgenommen und können nicht in tierische Proteine eingebaut werden. Sie werden daher grösstenteils ausgeschieden.

Gemäss den Vorschriften der Europäischen Union muss mit Selen angereicherte Hefe mehr als 98 % organisches Selen enthalten. Damit sie in der EU als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden kann, muss ihr Gehalt an SeMet mindestens 63 % des Gesamtselens ausmachen. Die genaue Konzentration von SeMet in Hefe ist schwer zu bestimmen, da sie von Produkt zu Produkt und sogar von Charge zu Charge stark variiert (zwischen 60 und 85 %).

Die Verdaulichkeit des Proteins in Hefe beträgt nur etwa 80 %. Daher steht dem Tier weniger SeMet zur Verfügung als in reiner Form.

Eine erfolgreiche Diagnostik und gezieltes Handeln retten Leben

Im oben beschriebenen Betrieb wurden sofort fünf Tiere um den Geburtstermin beprobt (zwei Rinder, drei Kühe). Aufgrund des hohen Verdachts wurden hochträchtige Tiere ab dem 7. Monat mit Depot-Boli versorgt und neugeborenen Kälbern wurde am ersten Lebenstag eine Injektion mit Vitamin E und Selen verabreicht.

Die Blutuntersuchungen bestätigten den Verdacht: Es lag ein klarer Selenmangel vor. Der Landwirt stellte daraufhin auf ein mineralisches Ergänzungsfuttermittel mit hohem Gehalt an SeMet um und setzte die Supplementierung bei der Geburt konsequent fort. Das Ergebnis: Seit der Umstellung gab es keinen weiteren Kälberverlust.

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Alle Spurenelemente im Auge behalten

Neben Selen sind weitere Spurenelemente wie Kupfer, Zink, Mangan, Kobalt und Jod ebenso unverzichtbar für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tiere. Diese Mikronährstoffe wirken im komplexen Zusammenspiel und tragen gemeinsam zum immunologischen, reproduktiven und metabolischen Gleichgewicht bei. Treten wiederkehrende Probleme wie Abkalbeverluste, Fruchtbarkeitsstörungen oder schwache Kälber auf, sollte nicht nur auf Einzelparameter geschaut, sondern eine umfassende Analyse durchgeführt werden.

In Zusammenarbeit mit der Betriebstierärztin kann durch gezielte Blutuntersuchungen der Versorgungsstatus der Herde oder einzelner Tiere für alle relevanten Spurenelemente festgestellt werden – die Grundlage für eine bedarfsgerechte und zielgerichtete Supplementierung.