Das Gute voraus: Im 161 Seiten dicken Vernehmlassungs-Bericht zur Agrarpolitik 2022+ gibt es auch ein paar löbliche Ideen. Zum Beispiel die Forderung nach einer sozialen Absicherung für mitarbeitende Ehepartner. Damit könnte die Situation vieler Frauen auf den Höfen verbessert werden.
Und dass die Landwirte bei der Biodiversitätsförderung künftig zwischen zwei Modellen wählen können, ist zwar innovativ. Wirklich bringen würde die Wahl aber nur dann etwas, wenn bei der Alternative zum Status quo die Ergebnisse honoriert würden. Genau das ist aber nicht vorgesehen.
Stattdessen muss der Betriebsleiter ein «gesamtbetriebliches Biodiversitäts-Förderkonzept erstellen, welches das Standortpotenzial einbezieht». Dieses muss er den Behörden vorlegen und genehmigen lassen. Was solche Konzepte bringen, kennt man zur Genüge von den Vernetzungs-Projekten: Die haben bis heute nur wenig zur Verbesserung der Biodiversität beigetragen.
Wo Konzepte gefordert werden, ist das Vertrauen in die Landwirte nicht gross
Das «Vertrauen» des Bundesrates in die Bauern ist offenbar nicht allzu gross. Einzig bei den neu vorgesehenen Tiergesundheits-Beiträgen sollen «keine Massnahmen vorausgesetzt und keine Handlungsanweisungen erteilt» werden. Ob das schliesslich der Fall sein wird, kann derzeit nicht beurteilt werden.
Wie Tiergesundheit gemessen und die Leistungen der Bauern bewertet werden sollen, ist noch völlig offen. Die entsprechenden Indikatoren will das Bundesamt für Landwirtschaft BLW zusammen mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV frühestens in fünf Jahren vorlegen. Bis dahin dürften Tiergesundheits-Beiträge vor allem für die Teilnahme an bestehenden Programme wie Kometian, Kälber-Gesundheitsdienst, Bestandesbetreuung usw. fliessen.
Offen ist zudem, ob diese Beiträge überhaupt attraktiv wären. Im Budget sind dafür 25 bis 75 Mio Franken pro Jahr veranschlagt. Bei einer Beteiligung von 70 Prozent (wie zum Beispiel bei RAUS) ergibt das bei 1,3 Mio Grossvieheinheiten 27 bis 82 Franken pro GVE. Damit lassen sich unter Umständen nicht mal die anfallenden Mehrkosten decken.
Das BLW schlägt im Vernehmlassungsbericht vor, die Verkäsungszulage um zwei Rappen zu senken. Er begründet das damit, dass die volle Zulage für Käse mit nur 15 Prozent Fett zu Fehlanreizen führe.
BLW will die Verkäsungs-Zulage senken und stattdessen die Siloverzichts-Zulage verdoppeln
Diese Fehlanreize hat das BLW mit verursacht. Es weigerte sich bei der AP14–17, die Verkäsungs-Zulage prozentual zum Fettgehalt auszuzahlen. Stattdessen schrieb das BLW einen Mindest-Fettgehalt von 15 Prozent vor – womit klar war, dass die Fehlanreize höchstens gemildert, aber nicht beseitigt werden.
Es ist ein reines Mengenproblem: Fettarmer Industrie-Käse wird nur produziert, weil mehr Milch auf dem Markt ist, als für wertschöpfungsstarke Produkte nachgefragt wird.
Um das Problem zu lösen, bräuchte es keine Umlagerung der Zulagen, sondern eine transparente Mengensteuerung. Aber davon wollen das BLW, die Branchenorganisation Milch BOM und der Schweizer Milchproduzentenverband SMP nichts wissen. Die vollständige Abschaffung der Verkäsungs-Zulage ist deshalb nur eine Frage der Zeit, die AP22+ macht den Auftakt.
Die positiven Wirkungen mancher Massnahmen werden in Kombination mit anderen Massnahmen wieder zunichte gemacht.
Der Hochstamm-Obstbau ist ein Beispiel dafür, was gut gemeint ist – aber am Ende wirkungslos
Dass es für Hochstamm-Obst künftig Produktionssystem-Beiträge geben soll, wenn das Obst tatsächlich vermarktet wird, tönt nicht schlecht.
Da das BLW aber gleichzeitig eine Abschaffung der Marktreserve-Beiträge für Apfel- und Birnensaft-Konzentrat vorschlägt, dürfte diese Vermarktung nicht attraktiv sein. Die Folgen dieser Abschaffung wären laut BLW fatal:
Die Abschaffung der Marktreserve-Beiträge würde zu Foodwaste führen, weil in erntestarken Jahren nicht mehr das gesamte Mostobst geerntet würde.
Es entstünde ein Importdruck, weil in ernteschwachen Jahren die Konsumenten vermehrt auf Getränke aus ausländischen Äpfeln und Birnen zurückgreifen würden.
Es würde Rodungsdruck verursacht, der sich negativ auf Ökosysteme, Biodiversität und Landschaft auswirkt.Solche Widersprüche sind in den Vernehmlassungs-Unterlagen öfters zu finden. So verursacht zum Beispiel die Verbrennung von mit Holzschnitzeln vermischtem Pferdemist eine doppelt so hohe Umweltbelastung wie die Verbrennung von Erdgas oder reinen Holzschnitzeln.
Gleichzeitig geht bei der Mist-Verbrennung neben den humusbildenden Stoffen auch der pflanzenverfügbare Stickstoff verloren. Dieser muss durch importierten Mineraldünger ersetzt werden, für dessen Herstellung viel Energie benötigt wird. Die übrigen mineralischen Nährstoffe wie Phosphor und Kalium bleiben zwar in der Asche, doch die darf nicht als Dünger verwendet werden.
Dass Mist künftig trotzdem verbrannt werden soll, wäre unsinnig. Dieser Vorschlag stammt aber nicht von den Behörden, sondern geht auf die Annahme einer Motion zu diesem Thema im Parlament zurück.
Begrenzung der Direktzahlungs-Summe auf 250 000 Franken ist ein wirkungsloser «Papiertiger»
Der Einfluss der Politik auf die Ausgestaltung der Agrar-Vorlagen führt mitunter zu merkwürdigen Vorschlägen. Die Massnahme zur «Einschränkung von PSM mit erhöhten Umweltrisiken» ist zum Beispiel eine Antwort auf die Trinkwasser-Initiative.
Damit würden gewisse Pflanzenschutzmittel künftig zwar weiterhin vom BLW zugelassen, dürften aber von den Bauern nicht mehr angewendet werden, zumindest solange sie Direktzahlungen beziehen. Offensichtlich geht es hier weniger um die Umwelt, als vielmehr um eine «Beruhigungspille» fürs Volk.
Die wenigsten Betriebsleiter werden auf 100 000 Franken (oder mehr) verzichten.
Bei der vorgeschlagenen Begrenzung der Direktzahlungs-Summe pro Betrieb auf 250 000 Franken ist das ähnlich.
Wie wird ein Betriebsleiter darauf reagieren, der heute 350 000 Fr. DZ erhält? Er wird seinen Betrieb splitten, einen Teil einem Verwandten übertragen oder den Hof offiziell als Betriebsgemeinschaft anmelde.
Auch die vorgesehene Reduktion der Dünger-Grossvieheinheiten DGVE im Gewässerschutzgesetz ist in erster Linie Placebo fürs Volk. Die Nährstoff-Bilanz des ÖLN schränkt die DGVE fast immer stärker ein, als die geplante Verschärfung im Gewässerschutz-Gesetz.
Die DGVE-Reduktion wird höchstens für die 5000 Betriebe relevant, die keine Direktzahlungen erhalten und deshalb keine Nährstoffbilanz rechnen müssen. Aber diese Betriebe bewirtschaften nicht einmal zwei Prozent der Nutzfläche. Private Gärten und öffentliche Grünanlagen nehmen eine weitaus grössere Fläche ein – und werden in der Düngermenge nicht begrenzt.
Wer glaubt, mit der Rückweisung der bundesrätlichen Gesamtschau zur Landwirtschaft – auf der die Agrarpolitik 2022+ basiert – seien auch preissenkende Massnahmen vom Tisch, hat sich geirrt. Die Schweizer Bauern produzieren dem Bundesrat noch immer zu teuer.
Das BLW will deshalb mit agrarpolitischen Massnahmen dafür sorgen, dass sich die heimischen Produzenten-Preise den internationalen Preisen annähern.
Der Bundesrat will Produzenten-Preise wie in der Türkei
Das Mass der Dinge ist dabei der Producer Nominal Protection Coefficient NPC der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD.
Laut dem NPC-Index musste für ausgewählte Standardprodukte aus der Schweiz im Jahr 2016 rund 170 Prozent des Weltmarktpreises bezahlt werden. Künftig soll die Differenz nur 140 Prozent betragen. Das entspricht in etwa dem aktuellen Preis-Niveau der Türkei.
Im Bericht zur Vernehmlassung findet man kaum Massnahmen zur administrativen Vereinfachung
Gleichzeitig soll die Schweiz die Nahrungsmittel-Exporte steigern. Ein Unding, wenn man weiss, dass sich unser Land nur zur Hälfte mit heimischen Nahrungs-Kalorien versorgen kann.
Der BLW-Indikator zur Messung der Export-Erfolge berücksichtigt deshalb auch «exportierte Verarbeitungs-Produkte auf der Basis von importierten Rohstoffen wie Rindfleisch oder Zucker». Der Indikator zeigt also die Wertschöpfung der nachgelagerten Stufen – von der die Bauern ja bekanntermassen wenig spüren.
Massnahmen zur administrativen Vereinfachung sucht man im Vernehmlassungs-Bericht vergebens. Die meisten neu vorgeschlagenen Massnahmen führen sogar zu einem Mehraufwand, entweder bei den Bauern oder bei den Kantonen.
Das BLW will den Aufwand mit dem vorhandenen Personal bewältigen. Dafür wurde das Budget für Verwaltungsmassnahmen von 2011 bis 2018 schon um 6 Mio auf 55 Mio Franken aufgestockt.
Bei Agroscope wurden die Ausgaben für Vollzugs- und Kontroll-Aufgaben im gleichen Zeitraum von 54 auf 60 Mio Franken erhöht. Sparen will man eigentlich nur, indem die Bauern verpflichtet werden, dem Bund alle gewünschten Monitoring-Daten zur Verfügung zu stellen. Bisher war die Herausgabe der Daten freiwillig.
Quellen:
(1) www.dgrn.ch/Vernehmlassung-zur-AP22
(2) www.dgrn.ch/Hofduenger-Motion
(3) www.dgrn.ch/Gesamtschau-des-Bundesrates