Herr Roth, im Kanton Graubünden produzieren 60 Prozent der Betriebe für die Bio-Knospe, rund ein Viertel davon Biomilch. Welche Herausforderungen stellen sich ihnen bei der Biofütterung der Milchkühe im Berggebiet nach den neuen Fütterungsrichtlinien?
Martin Roth, Bioberater Plantahof: Je höher die Berglage, desto kleiner ist der Anteil an eiweissreichem Grundfutter. Alternativen wie der Anbau von Kunstwiesen oder Silomais fehlen im Berggebiet teilweise bis vollständig. Wegen der Alpung sind andere Massnahmen wie die Verlegung des Abkalbezeitpunktes auf den Frühling nur schwer umsetzbar.
Dann die Beschaffung: Nach dem trockenen Sommer 2022 war zu wenig inländisches Knospe-Raufutter erhältlich. Auch bisherige Handelsbeziehungen konnten so nicht weitergeführt werden. Ausserdem haben die angepassten Fütterungsrichtlinien nicht nur zur Halbierung der möglichen Menge an Kraftfutter geführt, sondern auch zu einem Absinken der Proteingehalte, weil inländische Eiweisskomponenten – allen voran Sojakuchen – nicht verfügbar waren.
Weiter beobachte ich, dass sich viele Betriebe erst spät oder gar nicht auf die neue Ausgangslage vorbereitet haben. Immerhin wurde diese Anpassung der Bio Suisse-Fütterungsrichtlinien bereits im Frühling 2018 beschlossen. Das ist allerdings menschlich und geht uns wohl allen so – wir gehen Dinge erst an, wenn es dringlich ist.
Was sind mögliche Lösungen?
Betrieben, welche einen Ausstieg aus der Bioproduktion oder der Milchwirtschaft in Erwägung ziehen, raten wir, keine überstürzten Entscheide zu fällen. Es lohnt sich, genau zu berechnen, was dies bedeuten würde. Beide Schritte sind nicht einfach umzukehren und müssen gut überlegt sein.
Die Erhöhung der betriebseigenen Futterqualität hat sicher höchste Priorität. Das heisst konkret:
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Ausgewogenen Flächenmix von extensiv bis intensiv anstreben.
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Zu den Ansprüchen der Tiere passenden Anteil Biodiversitätsförderflächen nicht überschreiten.
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Genügend düngbare Flächen einplanen, so dass eine sinnvolle Hofdüngerverteilung möglich ist.
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bestandeslenkende Massnahmen
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Futtererntemaschinen optimal einstellen, um eine top Futterqualität ernten zu können.
Eine Anpassung der Zuchtstrategie kann angezeigt sein, sofern die Ansprüche der Tiere über das betriebliche Potenzial hinausgehen. Das muss aber nicht zwingend bedeuten, dass ein Rassenwechsel nötig ist. Bio-KB-Stiere, Kleeblattstiere oder die Nutzung vom Weidezuchtwert können hilfreiche Orientierungspunkte sein, da sie Merkmale wie Gesundheit und Fitness höher gewichten.
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«Das ist allerdings menschlich und geht uns wohl allen so.»
Martin Roth, Plantahof
Es scheint mir wichtig, dass die Beschaffung insbesondere von Grundfutter aktiv angegangen wird. Die Suche kann über ein kostenloses Inserat auf Biomondo, die längerfristige Partnerschaft mit Betrieben im Talgebiet oder über einen zertifizierten Biofutterhändler angegangen werden.
Weiter raten wir Biobauernfamilien, sich bei ihren Mitgliederorganisationen einzubringen. Bio Grischun hat beispielsweise erkannt, dass es bei der Umsetzung der neuen Vorgaben Schwierigkeiten gibt. Sie haben eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Alle Mitglieder wurden angeschrieben, ihre Situation mitzuteilen und Vorschläge einzubringen. Die aktive Beteiligung im Verband ermöglicht es, den Kurs mitzubestimmen oder gegebenenfalls zu korrigieren.
Die angepassten Fütterungsrichtlinien bringen also Herausforderungen mit sich. Wie viele Bündner Bergbetriebe steigen in der Folge aus der Bioproduktion aus?
Es gibt einige Austritte, wobei nicht von einem Massenexodus gesprochen werden kann. Zudem gibt es Betriebe, die mit dem Gedanken spielen, mit Bio aufzuhören oder auf Bundesbio umzustellen. Das betrifft aber nicht nur Milchviehbetriebe und auch nicht nur die neuen Fütterungsrichtlinien.
Entscheidend wird sein, dass es nicht an breiter Front zu Austritten kommt – dann kämen nachgelagerte Betriebe und Betriebe, die bei Knospe-Bio bleiben, unter Druck. Wenn zum Beispiel einzelne Milchbauern mit Bio aufhören und die bestossene Alp deshalb nicht mehr als Bioalp bewirtschaftet werden kann, kann auch die Milch nicht mehr als Biomilch vermarktet werden.
