Kurz & bündig
- Jugendliche im Agriviva-Einsatz entlasten die Betriebsleiter-Familie und bereichern den Alltag.
- Die Jugendlichen lernen, mit Verantwortung umzugehen, sie bekommen einen Einblick in den Alltag auf einem Betrieb.
- Bei Vanessa und Samuel Aeberhardt absolviert Meya Urben einen Einsatz während dem Zwischenjahr.
Es geht laut und lebhaft zu und her auf dem Hof von Vanessa und Samuel Aeberhardt in Kirchberg BE: Am Waldrand entsteht ein moderner Laufstall mit Roboter für 73 Milchkühe. Eben fährt Grossvater Aeberhardt mit den letzten Paloxen voller Saat-Kartoffeln auf den Hof, Kinder wuseln herum, die Eltern von Vanessa Aeberhardt haben einen Blick auf die Enkel. Und wo ihr Mann Samuel ist, das weiss Vanessa Aeberhardt (33) in diesem Moment nicht: «Es sind lange Tage gerade», sagt sie.
Ein Zwischenjahr mit Einsätzen in der Landwirtschaft
Mittendrin ist Meya Urben aus Oberönz BE. Die 18-Jährige leistet einen Agriviva-Einsatz bei Aeberhardts und bleibt auch im Trubel ruhig. Anpacken kann sie und körperlich findet sie die Tage auf dem Feld und im Haus nicht speziell anstrengend: «Ich habe vorher in einer Werkstatt geholfen, Vogelhäuschen und Weinkisten zusammen zu bauen. Das war nicht nur anstrengend, sondern auch eintönig.»
Bei Aeberhardts ist Meya Urben ins kalte Wasser gesprungen: Zum ersten Mal hat sie ein Baby gewickelt und bei der Kartoffelernte mitgeholfen. Zuvor hat sie bereits ein Sozialpraktikum in der Westschweiz gemacht, und auch ein weiterer Agriviva-Einsatz ist geplant.
Urben macht nach der Fachmittelschule ein Zwischenjahr, bevor sie eine Arbeit im Gesundheitswesen beginnen möchte. «Ergotherapeutin fände ich spannend», sagt sie. Eine Lehre im Bereich Landwirtschaft sieht sie weniger. Sie geniesst die Zeit und schätzt die Erfahrung: «Aber selber einen Hof führen, das möchte ich dann doch nicht.»
Vanessa Aeberhardt ist extrem froh um die Unterstützung durch die Agriviva-Jugendlichen: Die Baustelle hält sie zusätzlich zum normalen Hof-Alltag auf Trab. «Heute waren wir 17 Leute beim Mittagessen», sagt sie. Das brauche Planung und helfende Hände, etwa beim Ein- und Aus-räumen des Geschirrspülers.
Junge Menschen bereichern den Alltag auf dem Hof
Vanessa Aeberhardt ist nicht auf einem Hof aufgewachsen. Sie hat lange für eine grosse Sportartikel-Firma gearbeitet und ist für diese Stelle viel gereist. Seit sie Kinder hat, konzentriert sie sich auf die Mitarbeit auf dem Betrieb und auf die kommunale Politik, sie arbeitet als Gemeinderätin.
Langweilig wird es ihr dabei sicher nicht: Die Planung des Bauprojektes hat mehrere Jahre in Anspruch genommen. Doch nun entsteht in einer Betriebszweig-Gemeinschaft mit der Familie Savary aus Wynigen ein neuer Stall. Zudem ist eine Biogas-Anlage und im aktuellen Milchvieh-Stall eine Schnitzelheizung für einen Wärmeverbund geplant.
Dass nun viele Leute am Tisch sitzen und zum Teil mit ihr und der Familie unter einem Dach leben, findet sie bereichernd: «Wir haben einen Lernenden, eine Angestellte und nun auch Agriviva-Jugendliche. Das ist eine coole Runde.»
In etwas ruhigeren Wochen treffen sich alle am Freitag zu einem Feierabendbier und sitzen draussen. «Alle» beinhaltet neben der Familie, der Angestellten, dem Lernenden und den Agriviva-Jugendlichen auch die Schwiegereltern und weitere Angehörige, die in der Nähe leben, wie Vanessas Eltern.
Vom Landdienst über Lernende zu Agriviva-Einsätzen
Die Idee, Agriviva-Einsätze anzubieten, brachte Vanessa Aeberhardts Schwiegermutter ein: «Sie hat über 30 junge Frauen im Bildungsjahr Hauswirtschaft ausgebildet und früher zur Erntezeit auch Landdienst-Jugendliche aufgenommen.» Vanessa und Samuel Aeberhardt bieten seit 2021 Einsätze an. «Es ist ein richtiges Blind Date», sagt Vanessa Aeberhardt.
Denn die Jugendlichen wählen auf der Agriviva-Website aus, zu welchem Zeitpunkt sie auf welchem Betrieb einen Einsatz leisten möchten. Ist der Zeitraum frei, können sie buchen – Aeberhardt bekommt dann das Datenblatt und der Einsatz ist fix.
«Bis jetzt haben alle vorher kurz angerufen, damit wir abmachen konnten, wann die Jugendlichen eintreffen. Meya etwa wollte wissen, ob sie Stiefel mitbringen soll.» Einen Schnuppertag gibt es nicht – doch für zwei Wochen findet das Vanessa Aeberhardt auch nicht nötig. «Wir nehmen, wer kommt», sagt sie. Und sie ist grosszügig: «Wenn jemand einen anderen Weg zum Ziel einer Arbeit verfolgt, ist es so. Solange das Ergebnis stimmt, ob in der Küche, bei den Kindern oder im Haushalt, bin ich für die Unterstützung dankbar.»
Den Jugendlichen Verantwortung geben und ihnen etwas zutrauen
Sie findet, dass Jugendlichen oft zu wenig zugetraut wird: «Ich bemuttere sie nicht. Wenn sie zu uns kommen, bekommen sie Verantwortung und ich bin immer wieder fasziniert, wie gut das klappt.» So habe ein junger Mann zum riesigen Erstaunen seiner Mutter ein Cake gebacken, Windeln gewechselt und sehr souverän auf fünf Kinder aufgepasst.
Berührungsängste gebe es kaum, sagt Aeberhardt: «Einige Jugendliche standen zum ersten Mal in einem Kuhstall, waren dann aber total angefressen.» Sie bietet die Einsätze zwischen Juni und Oktober an: Danach sind die Arbeitsspitzen vorbei.
Ab diesem Herbst wird eine weitere Person auf dem Hof leben: Aeberhardt nehmen ein AuPair auf. Die jungen Leute – Angestellte, Lehrling und Agriviva/AuPair – teilen sich zu dritt ein Bad.
«Dabei lernen sie, Rücksicht zu nehmen», beobachtet Vanessa Aeberhardt. Das sei wie in einer Wohngemeinschaft, die jungen Leute halten die Dusche selber sauber und müssen sich organisieren.
Die Motivation ist auch bei Ausbildungs-Praktika hoch
Meya Urben fühlt sich wohl auf dem abwechslungsreichen Betrieb und versteht sich mit Carla (4) und Laura(9 Monate) sehr gut. Nach einem langen Tag sei es zwar manchmal anstrengend, die kleine Laura zum Einschlafen zu bringen. «Abends sind wir oft alle KO und froh, die Zimmertüre schliessen zu können», ergänzt Vanessa Aeberhardt.
Sie wird auch 2022 Agriviva-Einsätze anbieten. Interessant findet sie, dass zwar viele der Jugendliche den Einsatz im Rahmen eines Ausbildungs-Praktikums absolviert haben, aber nicht weniger motiviert waren. Wer Einsätze anbieten möchte, brauche Platz, Zeit und Geduld. «Ich empfinde die Einsätze nicht nur als grosse Entlastung im Alltag, sondern auch als Bereicherung», sagt Vanessa Aeberhardt.
Die Arbeit mit jungen Menschen macht ihr sichtbar Freude. Und nicht nur ihr: Ihr Mann Samuel Aeberhardt bildet seit vielen Jahren Landwirte und Landwirtinnen aus, in der EFZ- und EBA-Lehre. Aeberhardts Angestellte Christa Burri hat die Lehre bei ihnen gemacht und ist geblieben: «Und mit anderen ehemaligen Lernenden sind wir weiterhin in Kontakt – unsere Türe ist stets offen», sagt Vanessa Aeberhardt.
Ab Ende August kommen die ersten Jugendlichen schnuppern, die 2023 ein Lehrjahr bei Aeberhardts absolvieren möchten: «Das Interesse ist gerade sehr gross», freut sie sich.
Betriebsspiegel der Familie Aeberhardt
Vanessa und Samuel Aeberhardt, Kirchberg BE
LN: 20 ha
Bewirtschaftung: ÖLN, IP-Suisse
Kulturen: Natur- und Kunstwiesen, Saatkartoffeln, Mais, Weizen, Gerste
Tierbestand: 20 Milchkühe (Holstein, Red Holstein), rund 40 Jungtiere, Stier
Weitere Betriebszweige: Ab 2022 neuer (Roboter-)Kuhstall für 73 Kühe, Biogas-Anlage und geplanter Wärmeverbund in BZG mit Familie Savary/Wynigen BE
Arbeitskräfte: Betriebsleiter-Paar, Christa Burri (Angestellte), Lernender Severin Hutmacher, Eltern von Samuel und Vanessa Aeberhardt während Arbeitsspitzen
Agriviva bringt Jugendliche auf den Hof
2021 feiert Agriviva das 75-Jahr-Jubiläum. Der 1946 als «Landdienst» gegründete Verein tritt seit 2009 unter dem Namen Agriviva auf. Die Organisation vermittelt Ferienjobs, bei denen es um viel mehr geht als ums Taschengeld: Die Jugendlichen erhalten einen Einblick in die Welt der Landwirtschaft. Bei der Anmeldung können Jugendliche den Betrieb auswählen, der am besten zu ihnen passt. Das Angebot richtet sich an 14- bis 24-Jährige, die meisten Teilnehmer sind zwischen 14 und 17 Jahre alt.
Knapp 800 Betriebe machen bei Agriviva mit. Pro Jahr sind rund 500 von ihnen aktiv. 2020 konnten 1363 Jugendliche auf 382 Betriebe vermittelt werden. 63,6 Prozent waren weibliche Teilnehmerinnen. Durchschnittlich blieben die Jugendlichen 15 Tage auf dem Hof. Möglich sind Aufenthalte zwischen einer und acht Wochen. So kamen insgesamt 20 570 Tage zusammen, die Agriviva-Teilnehmende auf Bauernhöfen verbrachten.
Wer mitmachen möchte, muss Freude haben, mit Jugendlichen zu arbeiten und ihnen den eigenen Beruf zeigen zu zeigen. Gastgeber gehen auf die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Jugendlichen ein und bieten ihnen ein gutes Umfeld.
Die Gastgeber zahlen den Jugendlichen ein nach Alter abgestimmtes Taschengeld und eine Vermittlungs-gebühr an Agriviva. Wer bei Agriviva Vereinsmitglied ist, profitiert von Rabatt auf die Vermittlungsgebühr. Agriviva stellt den Jugendlichen für die An- und Rückreise ein ÖV-Billett zur Verfügung.
