Martin Goldenberger, neben den administrativen gibt es auch die emotionalen Herausforderungen bei einer Hofübergabe: Wie erleben Sie bei Agriexpert diese Ablöseprozesse mit?
Martin Goldenberger: Tränen und emotionale Ausbrüche gehören dazu, wenn man Hofübergaben begleitet. Dies darf ruhig auch seinen Platz haben. Es geht um sehr viel, um Lebenswerke und um die Zukunft einer neuen Bauernfamilie.
Die Zeit, in welcher Hofübergaben rein technisch abgewickelt wurden, ist schon lange vorbei.
Bauernfamilien, jung oder alt, bringen heute ihr Empfinden viel mehr ein. Jeder Berater muss selbst einschätzen, wie weit er solchen Situationen gewachsen ist: Kann er der Bauernfamilie noch selbst helfen? Oder bezieht er besser einen Mediationsspezialisten oder Coach ein?
Ich gehe sehr weit in der Betreuung von Konflikten. Doch von unseren Mitarbeitenden erwarte ich dies nicht im gleichen Ausmass. Wenn es auszuufern droht, muss man lieber zu früh als zu spät eine weitere, spezialisierte Fachperson beiziehen. Je nach Problemkreis verweisen wir auf uns persönlich bekannte Spezialisten.
Worauf gilt es bei einer innerfamiliären Übergabe ganz grundsätzlich zu achten?
Gegenseitiger Respekt und das Einhalten von Recht und Gerechtigkeit! Es tönt etwas abstrakt für eine Hofübergabe innerhalb der Familie.
Wir stellen aber fest, dass die meisten Probleme in der Missachtung des gegenseitigen Respekts und der Nichtbeachtung rechtlicher Leitplanken liegen.Die wichtigste Grundlage sind offene und konstruktive Gespräche. Dabei sollten alle beteiligten Parteien anwesend sein, auch Ehegatten und Partnerinnen.
Ich begrüsse es sehr, wenn auch die Geschwister des Käufers oder der Käuferin dabei sind, wenn die ermittelten Ergebnisse besprochen werden. Kein Thema soll tabu sein. Alles, was interessiert, bewegt und unklar ist, muss zur Sprache gebracht werden.
Oft erleben wir, dass die Person, welche die Hofnachfolge antritt, begünstigt werden soll. Eine Person begünstigen: Das bedeutet, einer anderen Person etwas wegzunehmen.
Erbrechtlich ist dies im Umfang der verfügbaren Quote möglich. Meist reicht diese Quote aber nicht aus. Was aus rechtlicher Sicht möglich ist, bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass es von den Geschwistern auch als richtig empfunden wird.
Welches sind die wichtigsten rechtlichen Aspekte?
Diese sind im Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht BGBB klar vorgegeben. Das BGBB sieht vor, dass der Betrieb als Gewerbe weitergeführt wird.
Vermehrt sehen wir, dass ein Betrieb kurz nach der Hofübergabe kein Gewerbe mehr ist: Etwa, weil die die übernehmende Person die Tierhaltung aufgibt, extensiviert oder eine andere Produktion reduziert.
Gemäss dem Kommentar zum BGBB führt eine solche Situation dazu, dass kein Anspruch auf Übernahme zum Ertragswert besteht. Denn die übernehmende Person war gar nie willens, ein Gewerbe zu führen.
Bemerken wir dies bei den Gesprächen mit der Familie, sprechen wir das Thema an. Wir machen die Familie auf die möglichen Probleme aufmerksam.
Die Lösung der Probleme kann darin liegen, entweder den Kaufpreis stark zu erhöhen: Gefordert ist vom Recht her dann der Verkehrswert. Oder die Eltern und alle Nachkommen einigen sich auf einen Erbvertrag, dem alle die unwiderrufliche Zustimmung erteilen.
Welches sind die wichtigsten finanziellen Aspekte?
Sowohl die übernehmende Person wie die Verkäufer müssen die Tragbarkeit prüfen. Der finanzielle Ertrag des landwirtschaftlichen Gewerbes muss es dem Landwirt oder der Landwirtin ermöglichen, in Zukunft Eigenkapital zu bilden.
Es reicht nicht, wenn man in der Zukunft knapp über die Runden kommt. Die Familie hat Verpflichtungen wie Schuldzinsen und Hypotheken, die es zu tilgen gilt. Zudem muss sie die Strukturkosten begleichen – und zwar von der laufenden Bewirtschaftung.
Dazu muss die Familie den Lebensunterhalt bestreiten und Rückstellungen bilden für Investitionen in Inventar und Gebäude.
Die Abtreter ihrerseits haben den Anspruch, ihr Leben auf dem bisherigen Lebensstandard weiterzuführen. Nebst der Ermittlung des korrekten Kaufpreises gemäss BGBB fliesst ein erheblicher Zeitaufwand in die Prüfung dieser Fragen. Meist geht es nicht auf beiden Seiten im ersten Anlauf auf. Es folgt die vertiefte Prüfung mit der Bauernfamilie.
Danach gibt es Varianten: Vielleicht ist den Verkäufern bis zur Pension ein höherer Lohn zu zahlen, vielleicht muss einer der übernehmenden Partner noch in einem Teilpensum auswärts arbeiten, vielleicht ist der Kaufpreis zu reduzieren.
Am Ende muss stets geprüft werden, ob und welche steuerlichen Folgen auf die Verkäufer zukommen. Dies ist bei der Tragbarkeit unbedingt mit zu berücksichtigen.
Wie läuft eine Beratung bei Agriexpert ab?
Im ersten telefonischen Kontakt wird meist der zeitliche Ablauf geklärt und erläutert, welche Unterlagen nötig sind, um uns und der Bauernfamilie den Prozess zu erleichtern.
Bei der ersten Besprechung auf dem Hof werden alle Daten aufgenommen und ein umfassendes Gespräch über die Vorstellungen und Wünsche der beiden Parteien geführt. Wir erläutern die rechtlichen Eckpunkte. Meistens ist eine Ertrags- und Inventarschätzung nötig.
Liegen die ersten Berechnungen vor, erfolgt eine weitere Besprechung. Es wird diskutiert und korrigiert und mögliche Varianten für die jeweiligen Positionen abgewogen.
Oft folgen weitere Gespräche. Der Notar kommt erst ins Spiel, wenn die Parteien den gemeinsamen Nenner gefunden haben und wir dies auch aus rechtlicher Situation als korrekt einschätzen. Oder wenigstens die Bauernfamilie auf Missstände aufmerksam gemacht haben. Der Notar wird zu guter Letzt mit der Beurkundung beauftragt.
Was kostet eine Beratung?
Eine Hofübergabe ist für uns mit viel Arbeit verbunden. Dazu gehört etwa die Aufarbeitung der Unterlagen, die rechtlichen Einordnungen, alle Berechnungen ausführen und der Bauernfamilie erklären.
Wir suchen gemeinsam nach Lösungen für das Wohnen im Alter, regeln die Anstellung auf dem Betrieb, stellen der Kreditkasse die geforderten Unterlagen bereit und erstellen zuhanden der Bank und dem Notar einen schriftlichen Bericht.
Läuft alles mehr oder weniger rund und handelt es sich um einen normalen Hof, ist mit 3000 bis 5000 Franken für unsere Beratung zu rechnen. Andernfalls steigt der Aufwand. Wir verrechnen unseren effektiven Aufwand.
Fachbegriffe kurz erklärt
Ertragswert
Der Ertragswert entspricht dem Kapital, das mit dem Ertrag eines landwirtschaftlichen Gewerbes oder Grundstücks bei landesüblicher Bewirtschaftung zum durchschnittlichen Zinssatz für erste Hypotheken verzinst werden kann.
www.dgrn.ch/ertragswert
Strukturkosten
Sie werden auch Gemeinkosten genannt. Strukturkosten beinhalten Gebäude- und Maschinenkosten, Pachtzinsen, Schuldzinsen, usw.
Rechtliche Voraussetzungen für eine Hofübergabe
Das Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB) gibt klar vor, welche Leitplanken im Erbfall und bei Vorkaufsfällen gelten.
Die lebzeitige Übergabe ist im Grundsatz eine vorweggenommen, erbrechtliche Handlung und richtet sich an den Grundsätzen des Erbrechts aus.
Der Verkäufer kann aber nicht gezwungen werden, das Gewerbe zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verkaufen. Fordert er zu Lebzeiten einen höheren Kaufpreis, als es das Bodenrecht vorsieht, kann nicht rechtlich dagegen vorgegangen werden.
Ein Hof kann zum Ertragswert plus allfälliger Erhöhung des Anrechnungspreises wegen erheblichen Investitio- nen übergeben werden, wenn folgende Eckpunkte erfüllt sind:
• Es muss sich um ein landwirtschaft- liches Gewerbe gemäss BGBB handeln.
• Die Person, welche das Gewerbe erwirbt, muss Selbstbewirtschafter sein.
Das Gewerbe muss zum Zeitpunkt der Hofübergabe mindestens eine Standard-Arbeitskraft SAK ausweisen (kantonale Abweichungen möglich). Es ist dabei auf von einem Mehrjahresmittel auszugehen, um eine momentane Sondersituation auszuschalten.
Wichtig ist, dass alle Faktoren, die für das BGBB massgebend sind, berücksichtigt werden. Dazu gehört auch, etwa eigenen Wald oder den Aufwand für die Verarbeitung, Lagerung und den Verkauf selbstproduzierter landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu berücksichtigen.
Nicht zu vergessen ist nicht genutztes Potenzial (z. B. leere Viehställe), welche bei der SAK-Feststellung der Direktzahlungen nicht aufgeführt sind.
Selbstbewirtschafter sein heisst, willens und fähig zu sein, ein Gewerbe zu bewirtschaften. Die Vergabe von Lohnarbeiten an Dritte im landesüblichen Ausmass ist natürlich erlaubt. Die Fähigkeit ist am betreffenden Objekt zu messen.
Ein Spezialbetrieb benötigt Fachwissen, das ein landesüblicher, gemischter Betrieb so nicht fordert. Bis heute ist im BGBB keine Diplom-Pflicht vorgeschrieben. In der Regel müssen aber wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen auch die Ausbildungs-Anforderungen für den Bezug von Direktzahlungen erfüllt sein.
www.dgrn.ch/bgbb