Michael Studer, Sie forschen an Lösungen, wie Hofdünger zu Erdölersatz verarbeitet werden können. Was ist der Unterschied gegenüber einer Biogasanlage, wo Gas gewonnen wird?
Michael Studer: Der Fokus heutiger Biogasanlage liegt vorwiegend auf dem Biomethan und dessen Brennwert. Das Biomethan wird in den meisten Anlagen in einem Blockheizkraftwerk verbrannt und damit zu Strom und Wärme umgewandelt. Alternativ könnte man das aus Hofdüngern erzeugte Biogas als erneuerbare Kohlenstoffquelle zur Produktion von Kunststoffen oder Treibstoffen einsetzen und somit stofflich und nicht energetisch nutzen.
Was für Produkte (Gase) können in einem solchen Fall aus den Hofdüngern gewonnen werden und wer benötigt diese?
Biogas besteht ungefähr hälftig aus Methan und aus CO2. Das Gasgemisch kann aufgetrennt und die beiden Hauptbestandteile können separat in Wert gesetzt werden. Methan (CH4) kann komprimiert und über das existierende Erdgasnetz zu den Verbrauchern transportiert werden. Abnehmer von Methan sind Haushalte, oder interessanter die Chemieindustrie, die CH4 als Ersatz für Erdgas als Rohstoff zur Produktion von Chemikalien oder Treibstoffen nutzen kann. Aber auch die zweite Komponente - biogenes CO2 - wird in Zukunft als erneuerbare Kohlenstoffquelle in der Chemieindustrie gefragt sein, um daraus zusammen mit erneuerbarem Wasserstoff dieselben organischen Kunststoffe für den täglichen Gebrauch und Treibstoffe für den Schwer- und Luftverkehr zu produzieren. Des Weiteren gibt es auch einen Bedarf nach biogenem CO2 in der Getränkeindustrie zur Karbonisierung oder in der Gemüseproduktion zur Düngung der Gewächshäuser. Die dritte Möglichkeit ist, das biogene CO2 in Abbruchbeton oder in der Nordsee geologisch eingelagert dauerhaft zu speichern. Das sind dann sogenannte negativen Emissionen, da die Pflanzen beim Wachstum CO2 aus der Atmosphäre entfernt haben, welches dann nicht mehr zurück dahin gelangt, wie es bei den energetischen Nutzungen der Fall ist.
Wie gross ist der Anteil dieses Bedarfs, welcher die Landwirtschaft herstellen könnte?
In der Schweiz fallen heute in Biogasanlagen, die Biomethan produzieren, schätzungsweise bereits um die 70'000 t CO2 pro Jahr an, die grösstenteils noch nicht genutzt werden. Das technische Potential an biogenem CO2, das aus Hofdüngern in Biogasanlagen hergestellt werden könnte, beträgt etwa 3,3 Millionen Tonnen. Die Chemieindustrie verbraucht heute fossile Energieträger im Wert von ca. 1.4 Mio. t C – das entspricht ca. 5.1 Mio. t CO2. Wir könnten hier also einen grossen Teil des Rohstoffs ersetzen. Der Bedarf der Getränkeindustrie beträgt circa 50'000 t und könnte damit über die CO2 Produktion der bereits bestehenden Biomethananlagen gedeckt werden. Den Verbrauch der Gemüseproduktion schätzen wir auf 50’000 bis 200'000 t CO2 pro Jahr. Hier liesse sich der Bedarf potentiell gut durch eine Selbstversorgung innerhalb der Landwirtschaft abdecken.
Warum dient es dem Klimaziel 2050 mit Null Emissionen mehr, wenn Hofdünger stofflich zu Erdölersatzprodukten verarbeitet werden, anstatt sie in einer klassischen Biogasanlage energetisch zu nutzen?
Mit energetischer Nutzung des Biogases ist meist die Produktion von Strom als Hauptprodukt gemeint. Der Schweizer Strommix verursacht bereits heute kaum THG-Emissionen. Was wir ersetzen müssen, ist der Strom aus Atomkraftwerken, der aber auch sehr emissionsarm ist. Das heisst, wenn wir diesen mit einer alternativen Technologie ersetzen, hat dies nur einen minimalen Effekt auf das Klima. Bei der Produktion von organischen Chemikalien aus biogenem CO2 kann hingegen direkt fossiles CO2 ersetzt und die Emission von fossilem CO2 bei der Verbrennung des Produkts am Lebensende verhindert werden. Das heisst, man verhindert damit viel mehr CO2-Emissionen. Zudem sollte man auch für jeden Sektor schauen, welche erneuerbaren Alternativen es gibt. Strom kann zum Beispiel mit Solar-, Wind- und Wasserkraft hergestellt werden und somit dekarbonisiert werden. Als erneuerbare Kohlenstoffquellen hingegen stehen nur Biomasse, CO2 aus der Luft und Recyclingplastik zur Verfügungen, wobei letzteres bei weitem nicht ausreicht, um den gesamten Kohlenstoffbedarf der Chemieindustrie zu decken.
Sie erforschen an der HAFL in modernen Labors künftige Verfahren, wie Hofdünger auf den Betrieben in der Praxis für die erwähnten Zwecke eingesetzt werden können. Gibt es hier bereits ausgereifte technische Lösungen, resp. wo liegt der aktuelle Forschungsschwerpunkt?
In unserer Arbeit geht es darum, wie wir das Potential an Hofdünger überhaupt nutzbar machen können. Heute werden weniger als 5 Prozent der Hofdünger in einer Biogasanlage genutzt. Wir entwickeln Lösungen, wie wir technisch und ökonomisch Biogas nur aus Hofdüngern ohne weitere Co-Substrate produzieren können. Dabei geht es auch um die Speicherung, Separierung und Nutzung des Biogases. Zudem fokussieren wir auf den Aspekt, eine Biogasanlage als Klimaschutzmassnahme zu sehen. Allein durch die ‘Lagerung’ der Hofdünger in einer Biogasanlage könnten gegenüber heute Emissionen im Wert von 1 Mio. t CO2eq pro Jahr eingespart werden. Das entspricht ungefähr 20 Prozent der Emissionen der Landwirtschaft, die wir dadurch verhindern könnten und nicht später aus der Atmosphäre via Netoemissionstechnologien (NET) entziehen müssen, um das Netto-Null Ziel zu erreichen. Da aber viele Landwirtschaftsbetriebe zu klein sind, um eine eigene Biogasanlage betreiben zu können, müssen hier alternative Lösungen gefunden werden.
Was sind die wichtigsten Schritte von Hofdüngern von der Güllegrube bis sie als standardisiertes Erdölersatzprodukt vorliegen?
Wir gehen davon aus, dass wir Hofdünger nur via CH4 oder CO2 zu einem standardisierten Erdölersatzprodukt machen können. Entsprechend müssen wir aus den Hofdüngern CH4 und CO2 produzieren, was wohl am einfachsten über eine Biogasanlage umsetzbar sein wird. Das CH4 kann in das Erdgasnetz eingespeist und so zur chemischen Industrie transportiert werden. Für den Transport von CO2 besteht noch keine flächendeckende Infrastruktur und somit muss CO2 bis auf weiteres verflüssigt und mit LKW/Bahn zur Nutzungsstelle transportiert werden. Die Nutzung von CH4 und CO2 erfolgt in beiden Fällen über Synthesegas (CO und H2) als Zwischenprodukt, das nun zu gewünschten Primärchemikalien wie Methanol oder synthetischem Erdöl (Naphta) in einem etablierten chemischen Prozess umgewandelt wird. Die weiteren Prozessschritte aus Naphta sind dann analog zur Produktion aus fossilem Erdöl.
Das Bafu sieht die Landwirtschaft nebst der Industrie im Jahr 2050 als grössten verbleibenden Emittenten von Klimagasen. Kann sich die Landwirtschaft dank des biogenen CO2 ihre Emissionen selbst kompensieren?
Die Landwirtschaft emittiert heute noch etwas mehr als 7 Mio. t CO2eq pro Jahr. Durch die geplanten Massnahmen des BLW im Rahmen der ‘Klimastrategie Landwirtschaft 2050’ sollen die Emissionen bis 2050 auf 5 Mio. t CO2eq pro Jahr sinken.Wie oben beschrieben, könnten wir in der Landwirtschaft aus Hofdüngern über Biogasanlagen maximal etwas mehr als 3 Mio. t CO2 pro Jahr und damit theoretisch auch gleich viel negative Emissionen produzieren, sofern wir das CO2 ausschliesslich für negative Emissionen und nicht als erneuerbare C-Quelle nutzen würden und die entsprechenden geologischen Lagerstätten vorhanden wären (was momentan noch nicht der Fall ist). Das bedeutet also, dass das CO2 aus Hofdüngern allein nicht ausreichen würde, um die schwer vermeidbaren Emissionen der Landwirtschaft komplett zu kompensieren und die Landwirtschaft dadurch klimaneutral zu machen. Es werden somit weitere Massnahmen in anderen Bereichen der Landwirtschaft nötig sein, um entweder Emissionen einzusparen oder zusätzliche negative Emissionen bereitzustellen. Allerdings gilt es zu beachten, dass das genannte Potential von 3 Mio. t grösser ist als die im Rahmen der ‘Energiestrategie 2050’ geplanten NET im Inland von 2 Mio. t CO2eq. Die Landwirtschaft verfügt somit hier über eine grosse Chance, um der Schweiz überhaupt zu ermöglichen, das Ziel der geplanten negativen Emissionen im Inland zu erreichen.