Warum sind Graugans und Höckerschwan schweizweit geschützt, obwohl es sich um eingeführte Vogelarten handelt?

Stefan Bachmann, Bird Life Schweiz: Das müssten Sie den Gesetzgeber fragen. Viele Vogelarten sind geschützt und nicht jagdbar. Und die beiden Arten sind ja nicht häufig: Bei der Graugans zählt man 45 bis 60 Paare, beim Schwan 590 bis 710 Paare.

Betonen möchte ich, dass man zumindest die Graugans nicht als eine eingeführte Art bezeichnen kann: Es ist eine einheimische Vogelart und war das bestimmt schon vor Hunderten von Jahren. Nachdem sie ausgerottet wurde, siedelt sie sich wieder an. Richtig ist aber, dass die heutige Population vermutlich zu einem grossen Teil von ehemaligen Gefangenschaftsvögeln abstammt.

Auch der Höckerschwan gilt aufgrund seiner jahrhundertelangen Anwesenheit in der Schweiz als ebenso etabliert wie die aus Südamerika stammende Kartoffel, Mais aus Mittelamerika und die aus dem Nahen Osten stammende «Schweizer Kuh». Zumal der Höckerschwan zumindest eine europäische Herkunft aufweist und die Schweiz in der Vergangenheit potenziell auch natürlich erreicht haben könnte.[IMG 2]

Beide Vögel haben keine natürlichen Feinde – reicht die Konkurrenz innerhalb der Art aus, um die Bestände zu kontrollieren?

Sie haben durchaus natürliche Feinde. Beutegreifer wie Fuchs, Dachs, Marder oder Greifvögel erbeuten die Eier und Jungvögel.

Zudem sind die Lebensräume (unverbaute Ufer) begrenzt. Dadurch können sich die beiden Arten in der Natur sicher nicht «unkontrolliert» vermehren.

Ein Problem ist aber, dass die Vögel an den Seen teils gefüttert werden, was einer künstlichen Nahrungsquelle entspricht, die es in der Natur nicht gäbe.

Gibt es heute noch grössere Aktionen zur Bestandsregulierung? Eier zu entfernen oder zu beschädigen sei ja nicht mehr zeitgemäss ...

Nach dem geltenden Gesetz sind Eingriffe gegen Einzeltiere, die Schaden verursachen, wie auch Eingriffe zur Regulation des Bestands auch heute noch grundsätzlich möglich. Allerdings sieht der Gesetzgeber hierfür hohe Hürden vor.

Welche Massnahmen empfehlen Sie Landwirten, deren Parzellen durch Graugans-Schwärme oder Höckerschwäne verschmutzt werden?

Solche Verschmutzungen kommen nur sehr lokal vor, da muss man die Relationen sehen. Vielleicht könnten die Bauern sich dafür engagieren, dass Schäden wie beim Wildschwein oder Biber vergütet werden. Fütterungsverbote an den Seen sollen durchgesetzt werden.

Noch ein Wort zu den Rabenvögeln, die ebenfalls als «Problemvögel» wahrgenommen werden: Rabenvögel sind einige der wenigen Profiteure der industriellen Landwirtschaft in der Schweiz. In naturnahen Kulturlandschaften treten sie laut Studien deutlich weniger häufig auf und es gibt auch weniger Konflikte. Die Probleme sind also zumindest zum Teil auf die heutige Agrarpolitik zurückzuführen.

Aus Deutschland gibt es immer wieder Berichte von Landwirten, die Probleme mit Graugänsen haben. Wäre es möglich und sinnvoll, koordiniert mit den Nachbarländern die Bestände zu dezimieren?

Eine gute Koordination wäre vor allem wichtig beim Schutz und der Förderung der gefährdeten Vögel sowie bei der Eindämmung der echten invasiven Neozoen (z. B. Rostgänse, Nilgänse, Grauhörnchen usw.), die eine grosse Bedrohung für die Biodiversität darstellen. Aber beim Schutz wie auch bei der Eindämmung ist die Schweiz leider kein Vorzeigeland.

Könnte die Ausbreitung der Vogelgrippe in Zukunft dazu führen, dass Graugans- und Höckerschwan-Bestände reduziert werden dürfen?

Das ist äusserst unwahrscheinlich. Erstens wird die Vogelgrippe laut Studien auch oft durch die Handelswege eingeschleppt. Zweitens kursiert die Vogelgrippe (die derzeit übrigens für den Menschen nicht gefährlich ist) in den Wasservögeln aus zahlreichen Arten, die bei uns zu Hunderttausenden überwintern.

Eine Dezimierung von einzelnen Arten hätte keinerlei Effekt, und die Vogelgrippe liesse sich nicht einmal durch Abschüsse von Millionen Vögeln reduzieren. Kommt hinzu, dass «unsere» Gänse und Schwäne ja gar nicht aus dem Norden zu uns kommen und die Grippe einschleppen. Aber das Geflügel kann ja relativ einfach von der Vogelgrippe geschützt werden, indem man etwa bei den Wintergärten engmaschige Netze montiert.

Wildvögel und die Vogelgrippe

Insbesondere Hühner und Truten können sich mit der Vogelgrippe (auch Geflügelpest oder Aviäre Influenza) anstecken. Während das Virus bei Nutzgeflügel meist zu deutlichen Krankheitszeichen (etwa Atemnot, Rückgang der Legeleistung, dünne oder fehlende Eierschalen, Schwellungen) führt, erkranken Wasservögel seltener und wenn weniger schwer. Sie gelten aber als bedeutendes Viren-Reservoir und können die Erreger über Wochen ausscheiden. Auch andere Wildvogelarten können infiziert werden. So fand man im Januar eine Krähe mit der Vogelgrippe in der Nähe der Schweizer Grenze am Bodensee. Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen erfolgt die Übertragung der Vogelgrippe über die Luft bei direkten Tierkontakt oder indirekt über kontaminierte Geräte, Kot, kontaminiertes Hühnerfleisch, Eier, Wasser, Fahrzeuge oder Personen. Zum Schutz von Nutzgeflügel dürfen Hühner, Truten usw. keinen Kontakt zu Wildvögeln haben und Geflügelhalter müssen die Biosicherheitsmassnahmen strikte einhalten.

Gewisse Stämme der Aviären Influenza können auch Menschen oder Schweine befallen. Beim aktuell kursierenden Virus gibt es aber bisher keine Hinweise auf eine Übertragung auf Menschen.

Quelle: BLV