Kurz & bündig
- Das Konzept «Freiluftkalb» wurde versuchsweise auf 19 Betrieben getestet.
- Das Resultat: Bei den Kälbern mussten deutlich weniger Antibiotika eingesetzt werden.
- Landwirt Thomas Waeber setzt auch nach Versuchsende einige der Massnahmen um. Insbesondere der überdachte Auslauf helfe der Tiergesundheit, beobachtet er auf seinem Betrieb.
- Wirtschaftliche Fragen – auch, ob für den überdachten Auslauf RAUS-Beiträge gezahlt werden – sind noch nicht ganz geklärt.
Auf dem Milchviehbetrieb von Thomas Waeber gibt es regelmässig Nachwuchs im Stall. Die Kälber zieht der Landwirt aus Gurmels FR alle selbst nach. Ausserdem mästet er die restlichen Kälber.
Vom Projekt «Freiluftkalb» habe er in der Zeitung gelesen, so Waeber: «Zu dem Zeitpunkt fütterten wir die Mast- und Kuhkälber per Automat, in der Gruppenhaltung. Ich wollte etwas ändern, um die Kälbergesundheit zu verbessern und da erschien das Projekt vielversprechend.»
Thomas Waeber meldete sich und war schliesslich einer von insgesamt 38 LandwirtInnen, der beim Konzept «Freiluftkalb» mitmachte.
Die Kälber bei den Nachbarn selbst abholen
Die nötige Stalleinrichtung – Einzeliglus, Grossraumiglu und gedeckter Auslauf (Pultdach) für die Gruppenhaltung der älteren Kälber – wurde Waeber zur Verfügung gestellt und konnte nach Projektende günstig gekauft werden. Ebenfalls zur Verfügung stand ein Milchtaxi, mit dem zwei Mal täglich die Kälber getränkt wurden.
Den Tierverkehr musste Thomas Waeber für die Projektteilnahme nicht gross anpassen. Er habe schon vorher Kälber zugekauft. Im Projekt war der Kälberzukauf Pflicht (mindestens 50 % der Kälber). Normalerweise erhielt Waeber die Tiere von Händlern. Für das Projekt holte er die Kälber bei Berufskollegen in der Nachbarschaft ab.
Neu für ihn waren die Einzeliglus, in denen die zugekauften Kälber die ersten drei Wochen auf dem Betrieb verbrachten. Vorher kamen alle Tiere – eigene und zugekaufte – von Anfang an in die Gruppenhaltung.
Die Gruppe der älteren Kälber im Konzept «Freiluftkalb» wurden in einem Grossraumiglu mit Auslauf gehalten. Sowohl Iglu als auch Auslauf waren mit Stroh eingestreut. Die ganze Fläche war überdacht.
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Sterblichkeit gesunken,Tageszunahmen unverändert
Der Arbeitsaufwand sei deutlich gestiegen, erzählt Waeber: «Es braucht Zeit, mit dem Milchtaxi bei jedem einzelnen Kalb vorbeizugehen.» Dieser Aufwand habe sich aber klar gelohnt: «Durch die engere Betreuung sahen wir schnell, wenn es einem Kalb nicht so gut ging und konnten reagieren», erklärt Waeber.
Reagieren musste er aber nicht allzu oft: «Ich hatte klar den Eindruck, dass meine Kälber gesünder waren.» Das bestätigen die offiziellen Resultate, die Mireille Meylan und Jens Becker mit dem Team der Vetsuisse-Fakultät von der Universität Bern, publizierten: Bei den «Freiluftkälbern» konnte der Antibiotika-Einsatz drastisch, um rund 80 %, gesenkt werden. Das geschah nicht auf Kosten der Gesundheit, im Gegenteil: Die Sterblichkeit lag bei den «Freiluftkälbern» bei rund 3 %, bei den Kontrollbetrieben bei rund 6 %. (1)
Bei den Tageszunahmen war kein signifikanter Unterschied zu sehen und bei der Fleischigkeit auch nicht. Bei der Fettabdeckung hingegen schon: Bei den Freiluftkälbern erreichten weniger Kälber die beste Fettabdeckung. Ob das nun an den unterschiedlichen Tränkesystemen liegt – ad libitum am Automat oder zwei Mal pro Tag am Milchtaxi – könne nicht genau gesagt werden. Fehlende Gesundheit sollte jedenfalls nicht dafür verantwortlich sein, die sei trotz geringeren Antibiotika-Mengen nicht gefährdet gewesen, so Becker.
So verlief die Studie der Vetsuisse
An der Studie nahmen insgesamt 38 Betriebe teil. Die Betriebe wurden während mindestens 12 Monaten begleitet. 2018 schloss das Projekt ab. Alle Teilnehmer produzierten Kalbfleisch nach IP-Suisse-Richtlinien.
19 der Betriebe behielten diese Produktionsart während der gesamten Studie als Kontrollgruppe bei. Die 19 anderen Betriebe führten in dieser Zeit das Konzept «Freiluftkalb» durch:
- Für Versuchszwecke mussten mindestens 50 % der Kälber zugekauft werden. Dabei durften die LandwirtInnen die Tiere nicht von einem Händler kaufen, sondern mussten sie auf direktem Weg selbst transportieren, von Betrieben aus der Nachbarschaft.
- Nach Ankunft wurden die Kälber gegen Parainfluenza-Viren sowie gegen das respiratorische Syncytial-Virus geimpft.
- Ausserdem wurden die Kälber zu Beginn für drei Wochen zur Quarantäne in einem Einzeliglu gehalten.
- Nach der Quarantäne wurden die Kälber in Gruppen von bis zu 10 Tieren gehalten. Diese Konstellation veränderte sich nicht, bis sie geschlachtet wurden.
- Wenn ein Kalb krank wurde, behandelte es der Bestandestierarzt. Von den Studienautoren wurden dazu keine Anweisungen gegeben, um eine möglichst unverändert reale Situation zu haben. Die Behandlungen wurden protokolliert und am Ende ausgewertet.
Durchgeführt wurde die Studie von der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern. Finanzielle Unterstützung erhielten sie von der IP-Suisse, vom Migros-Genossenschaftsbund, vom Bundesamt für Landwirtschaft und dem Schweizerischen Nationalfonds.
Tieferer Deckungsbeitrag für das «Freiluftkalb»
Unter anderem sind Arbeits- und Gebäudekosten für die Wirtschaftlichkeit der Kälbermast relevant. Beides war auf den «Freiluftkalb»-Betrieben erhöht. Das zeigt eine Studie der Agridea. «Freiluftkalb»-Betriebe zeigten zwar im Vergleich mit der Kontrollgruppe (Kälbermast nach üblichen IP-Suisse-Richtlinien) wirtschaftliche Vorteile aufgrund von weniger Tierverlusten und tieferen Remontierungs- und Gesundheitskosten. Doch wegen höheren Arbeitskosten fiel am Ende der erweiterte Deckungsbeitrag (inkl. Maschinen, Bauten, Beiträgen und Arbeit) um 65 % tiefer aus, verglichen mit der Kontrollgruppe.
Diese Berechnungen beruhten auf einigen Annahmen, die nicht direkt auf den Praxisbetrieben gemacht wurden, sondern beispielsweise aus dem Preisbaukasten oder der Preisstatistik von Proviande. Um sicher zu sein, müsste die Studie wiederholt und dabei die wirtschaftlichen Faktoren notiert werden, heisst es in der Agridea-Studie. (2)
Diese Annahmen zu betriebswirtschaftlichen Fakten seien aber «recht genau und detailliert rekonstruiert» worden. Folglich lohnen sich Gedanken zum tieferen Deckungsbeitrag und der Wirtschaftlichkeit der Freiluftkälber durchaus.
Wie steht es nun um die Wirtschaftlichkeit des «Freiluftkalbs»?
Es könnten sicherlich noch Kosten gesenkt werden, erklären Jens Becker von der Vetsuisse und Beat Hauser von IP-Suisse. «Für die Studie mussten wir das Management auf allen Betrieben gleich durchführen, um vergleichen zu können. Aber abseits einer Studie kann jeder Betrieb selbst optimieren», sagt Becker. Und Hauser macht das Beispiel: «Statt dem Milchtaxi könnte in der Gruppenhaltung wieder ein Automat eingesetzt werden. Das reduziert die Arbeitszeit stark.»
«Antibiotika-Resistenzen verursachen ebenfalls Kosten, welche die Gesellschaft tragen muss. Das «Freiluftkalb» kann helfen, diese Kosten zu senken», gibt Jens Becker zu bedenken. Das müsse in der Rechnung auch berücksichtigt werden.
Das Projekt «Freiluftkalb» solle einen Beitrag zu einer umfangreicheren Nachhaltigkeit der Kälbermast leisten, erklärt Beat Hauser. Diese Zusatzleistung beim Tierwohl und Gesundheit sollte auch klar honoriert werden, sei es über den Preis oder eine Prämie, fordert Hauser.
Eine solche Prämie und ein Beitrag zur Wirtschaftlichkeit der Kälbermast leistet der Tierwohlbeitrag RAUS, der ausgezahlt wird, wenn Kälber unter anderem Zugang zum Auslauf haben.
In Bezug auf das «Freiluftkalb» gibt es derzeit keinerlei Hinweise, dass dieser Beitrag für die überdachten Ausläufe in Zukunft gezahlt wird. Für die Projektdauer wurden die RAUS-Beiträge vom Projekt bezahlt.
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Wie wird es mit der Kälbermast in der Schweiz weitergehen? Darüber machten sie sich grundsätzlich viele Gedanken, sagt Beat Hauser. «Das «Freiluftkalb» hat Möglichkeiten aufgezeigt, wie wir den Antibiotika-Verbrauch senken können. Diese Möglichkeiten können sicherlich noch optimiert werden, aber grundsätzlich funktionierten sie.» Die IP-Suisse könne sich gut vorstellen, Teile des Haltungssystems in ihre Richtlinien zu integrieren.
Allerdings werde es auch davon abhängen, wie der Bund in Bezug auf die RAUS-Beiträge entscheidet. Da werden die Gespräche weitergeführt. «Danach können wir mit Partnern schauen, welche Prämien wir vom Markt brauchen und welche Unterstützung von IP-Suisse kommen wird.»
Nachtrag:
Das sagt das Bundesamt für Landwirtschaft BLW dazu
Bereits heute sei es möglich, RAUS-Beiträge für «Freiluftkälber» zu erhalten, schreibt das BLW auf Anfrage: Unter der Bedingung, dass «die Sicherstellung minimaler ungedeckter Bereiche im Auslauf gemäss DZV Anhang 6, Ziffer 2.7 gewährleistet ist.»
Die minimal ungedeckte Fläche ist ein Quadratmeter. Laut dem BLW können die Kantone festlegen, welcher Bereich einer unter dem Vordach liegende Auslauffläche als ungedeckt gilt. Dabei berücksichtig er die Höhe der Dachtraufe.
Die ungedeckte Auslauffläche dürfe zudem temporär (z.B. automatisiert öffnende und schliessende Schattennetzte) zwischen den 1. März und den 31. Oktober beschattet werden, heisst es weiter.
Schlechte Luftqualität greift die Lunge an
Thomas Waeber hat nach Projektende die Infrastruktur übernommen und führt das Konzept «Freiluftkalb» in leicht geänderter Form weiter. Mittlerweile kauft er keine Kälber mehr zu. Die Einzeliglus benutzt er daher für die Kuhkälber in der Aufzucht. Das Gruppeniglu ist mit bis zu zehn Mastkälbern besetzt.
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Dort beobachtet Waeber oft, wie die Kälber draussen im überdachten Auslauf stehen oder liegen. Er ist überzeugt: «Die Kälber sind auch deshalb gesünder, weil sie viel mehr draussen sind. Denn schlechte Luftqualität im Iglu greift die Lunge an.»
Für ihn stellt die Überdachung also einen Gewinn dar – auch wenn der aktuell nicht durch RAUS-Beiträge entsteht, sondern vielmehr durch gesunde Kälber.
Quellen
(1) Becker et al. (2020). Effects of the novel concept ‘outdoor veal calf’ on antimicrobial use, mortality and weight gain in Switzerland. Preventive Veterinary Medicine.
(2) Ueli Straub, Agridea (2022). Das Konzept Freiluftkalb senkt den Antibiotikaverbrauch – ist es auch wirtschaftlich? Agrarforschung Schweiz 13: 53–60